Montag, 15. Dezember 2025

Wir sehen uns wieder am Meer - Trude Teige

Nachdem ich die ersten beiden Teile von Trude Teiges Trilogie gelesen hatte, war klar, dass ich auch den letzten Band lesen würde. Leider war „Wir sehen uns wieder am Meer“ für mich eher enttäuschend. Zwar verpackt die Autorin wie auch in „Als Großmutter im Regen tanzte“ und „Und Großvater atmete mit den Wellen“ Geschichte in Geschichten, aber persönlichen Schicksale in diesem Buch fand ich schwach und zu episodenhaft. Punkten konnte dieser Teil der Serie nur durch den historischen Hintergrund, der wie üblich gut recherchiert und sehr interessant war.

Aber von vorn.

Das Freundinnen-Dreiergespann Birgit, Tekla und Anneliese geht mit der Besetzung Norwegens durch die Deutschen 1944 vollkommen unterschiedlich um. Anneliese stammt aus einer Nazi-Familie und meldet sich freiwillig als Krankenschwester an die Front. Tekla  und ihre Geschichte sind aus „Als Großmutter mit dem Regen tanzte“ bekannt. Birgit, die Protagonistin dieses Buchs, lernt in ihrer Freizeit Russisch, ihr Russischlehrer bringt ihr neben der Sprache auch vieles über die Kultur bei. Nach dem Tod ihres Lehrers und Vertrauten, zieht Birgit nach Bodø im Norden Norwegens, schließt sich dort dem Widerstand an und trifft auf die 16jährige Nadia. Die junge Frau wurde aus der Ukraine verschleppt und arbeitet als Zwangsarbeiterin in der örtlichen Fischveredelungsfabrik. Zwischen Birgit und Nadia entsteht eine enge Freundschaft. Bei der Arbeit im Krankenhaus lernt sie den schwerverletzten Russen Alexander Abramow kennen und lieben und hilft dabei, ihn gesund zu pflegen, bis er Norwegen verlassen kann. Dank ihrer Russischkenntnisse bekommt sie nach dem Krieg einen Job beim Auswärtigen Amt in Moskau und kommt ihrem Ziel, Alexander wiederzufinden, näher. Bald werden auch verschiedene Geheimdienste auf sie aufmerksam und versuchen, sie anzuwerben.

Ich habe alle drei Teile der Trilogie hintereinander weggelesen und bin beim letzten hin- und hergerissen. Der geschichtliche Hintergrund war genauso gut recherchiert und in die Lebensgeschichte der fiktiven Charaktere eingeflochten, dennoch fand ich das Buch nicht so gut wie die Vorgänger. Da man aus den anderen Teilen weiß, dass sich Birgit, Anneliese und Tekla später in ihrem Leben regelmäßig bei Tekla auf der Insel getroffen haben, weiß man in etwa, wie die Geschichte ausgehen wird und das nahm mir die Spannung. Die Zustände im Lager und für die Zwangsarbeiterinnen, die F**ter und die Ver***ltigungen durch die Nazis, aber auch die Naivität vieler, die immer wieder betonten, dass „XY nicht so ist, wie die anderen“, sind hervorragend und bildhaft beschrieben. Manche hatten damit Recht, manche nicht, aus heutiger Sicht mit dem Wissen über die damalige Zeit, ist vieles nicht nachvollziehbar. Dennoch fand ich die Einblicke in die Gedankenwelten interessant.

Sprachlich fand ich das Buch so gut wie die anderen Teile der Trilogie, aber der Aufbau machte es für mich schwerer zu lesen. Es ist zwar alles in allem eine zusammenhängende Geschichte, aber auch eine Aneinanderreihung von Ereignissen mit einigen großen Sprüngen. Die Charaktere fand ich auch nicht ganz so greifbar beschrieben, selbst zu den Protagonisten konnte ich keine wirkliche Bindung aufbauen. Wieder einmal stellt Trude Teige starke Frauen in den Mittelpunkt ihrer Erzählung. Der Krieg wirft auch lange nach seinem Ende seine Schatten auf ihr Leben und prägt ihr ganzes weiteres Leben auf unterschiedliche Weisen.

Das Buch ist der Abschluss der Trilogie, kann aber gut ohne Vorkenntnisse gelesene werden. Ich würde fast so weit gehen, dass es für mich ein Nachteil war, die anderen Teile zu kennen. Dadurch wusste ich in etwa, wie es ausgehen würde und das nahm mir komplett die Spannung. In diesem Buch fehlte mir neben der Spannung aber auch die Emotionen, Trude Teige schreibt meiner Meinung nach in diesem Band viel distanzierter als in den anderen und das fand ich etwas enttäuschend. Auch die Tatsache, dass sie die Geschichte durch ihr „alter ego“ Juni Berke, die Enkeltochter von Tekla (Protagonistin im ersten Band) schreibt, fand ich eher befremdlich, denn dieses Buch ist kein autofiktionaler Roman. Da fand ich diesen „Twist“, dass Juni plötzlich als Autorin aller drei Bücher in Erscheinung tritt ein bisschen seltsam. Aber Trude Teige verknüpft alle eventuellen losen Enden in diesem Buch und bringt die Serie zu einem passenden Schluss. Von mir gibt es drei Punkte.

Und Großvater atmete mit den Wellen - Trude Teige

„Und Großvater atmete mit den Wellen“ ist das zweite Buch von Trude Teige aus ihrer Reihe um Juni Bjerkes Familie. Nachdem ich „Als Großmutter im Regen tanzte“ sehr gern gelesen habe, war ich auf dieses Buch sehr gespannt. Schlecht fand ich es nicht, aber es hat mich nicht so in seinen Bann gezogen wie sein Vorgänger. 

Aber von vorn.

Nachdem Juni Bjerke in „Als Großmutter im Regen tanzte“ die Geschichte ihrer Großmutter Tekla nachvollzogen hat, steht jetzt ihr Großvater Konrad im Mittelpunkt. Die Leserschaft begleitet ihn erst auf das Handelsschiff Anitra, auf dem er zusammen  mit seinem Bruder Sverre als Seemann angeheuert hat. Dieses Schiff ist mit 13000 Tonnen Dieselöl für die Alliierten auf dem Weg von Abadan im Iran nach Darwin in Australien, als es im April 1943 vor Java versenkt wird. Konrad schafft es in ein Rettungsboot, in dem außer den Leichen von fünf Kameraden auch der schwerverletzte Jakob liegt. Am 18. Tag ihrer Odyssee auf See werden sie aufgegriffen und Konrad landet in einem Krankenhaus auf Java. Dort trifft er auf die norwegisch-stämmige Krankenschwester Sigrid. Bevor Konrad und Sigrid sich wirklich näherkommen können, holt der Krieg die beiden ein. Java wird von den Japanern kontrolliert, die schnell alle Europäer in Gefangenenlagern internieren. Konrad kommt nach seiner Genesung in ein Männerlager, Sigrid, ihre alkoholkranke Mutter Henny und ihre autistische Schwester Ingerid in ein Frauenlager. Beide erleben eine Zeit voller Grausamkeit.

Die Geschichte Javas und die japanische Seite des zweiten Weltkriegs war mir bislang unbekannt. Das, was die Autorin beschreibt, sind allerdings Grausamkeiten, die man auch aus anderen Kriegen kennt: es wird gefoltert, geprügelt, hingerichtet und verge**ltigt. Häftlinge in den Lagern werden zu harter körperlicher Arbeit gezwungen, bekommen kaum zu essen und die medizinische Versorgung verdient diese Bezeichnung nicht. In „Und Großvater atmete mit den Wellen“ gibt es bei all der Gewalt auch Liebesgeschichten, Freundschaften und Zusammenhalt. Die unmenschlichen Zustände in den Gefangenenlagern werden eindrücklich in ihrer vollen Grausamkeit geschildert. Daneben fallen die Charaktere etwas ab, zumal sie häufig sehr klischeehaft dargestellt werden. Starke, emanzipierte Frauen finden sich überwiegend beim medizinischen Personal wieder, ob als Ärztin oder Krankenschwester, „feine Damen“ werden durch die Gefangenschaft gebrochen und zu Arbeiterinnen „degradiert“. So wird aus Sigrids Mutter Henny, die vorher „Frau von Herrn Direktor“ war, eine Zwangsarbeiterin, was das aber abgesehen von den Auswirkungen auf ihre Gesundheit wirklich für sie bedeutet, kann man nur ahnen, denn darauf geht die Autorin eher weniger ein. Die autistischen Züge von Sigrids Schwester Ingeried sind meiner Meinung nach allerdings sehr gut dargestellt.

Sprachlich fand ich das Buch so gut wie den Vorgänger. Es ist leicht und flüssig zu lesen. Dennoch konnte es mich nicht so sehr begeistern. Zu deutlich sind die Parallelen zwischen den Geschichten und dadurch wirkte die Erzählung für mich zu stereotyp. Es kam mir vor, als wäre die Blaupause recycelt worden, Schauplätze und Personen wurden ausgetauscht, dazu ein paar „Alleinstellungsmerkmale“, fertig ist der Roman. Was bei „Als Großmutter im Regen tanzte“ funktionierte, kam mir hier allerdings vor wie noch einmal aufgewärmt. Hätte ich den Vorgänger nicht gelesen, hätte mir „Und Großvater atmete mit den Wellen“ wahrscheinlich besser gefallen. Durch die Vorkenntnisse wusste ich ja in etwa, wie die Liebesgeschichte im Endeffekt ausgehen wird, und dadurch ergab sich für mich keine Spannung. 

Historisch habe ich aus dem Buch einige Informationen mitnehmen können, die Liebesgeschichte und alles drumherum war nett zu lesen, mehr aber leider nicht. Für mich waren es historische Fakten, eingepackt in einen Kokon aus einer 08/15 Nebengeschichte, die manchmal sogar leider leicht ins Seichte abrutscht. Von mir gibt es daher 3 Sterne. 


Als Großmutter im Regen tanzte - Trude Teige

„Als Großmutter im Regen tanzte“ ist das erste Buch der norwegischen Autorin Trude Teige, das ich gelesen habe. Es wird aber ganz sicher nicht mein letztes Buch von ihr sein. Eine fiktive Familiengeschichte trifft dort auf echte Geschichte und über allem hängen gut gehütete Familiengeheimnisse. Mittendrin flackert ein kleines Flämmchen der Liebe und der Regen, in dem die Großmutter tanzt, spendet Applaus. Mich hat das Buch gefesselt und begeistert.

Aber von vorn.

Junis Mutter ist kürzlich verstorben und die junge Frau hat ihr Haus auf einer abgelegenen norwegischen Insel geerbt. Als ihre Großeltern noch dort lebten, hat Juni ihre Kindheit bei ihnen verbracht. Jetzt zieht sie sich für eine Auszeit dahin zurück. Sie ist schwanger, kann sich aber nicht vorstellen, das Kind mit ihrem gewalttätigen Mann Jahn zu bekommen. Beim Aufräumen im Haus schwelgt Juni in Erinnerungen und findet ihr unbekannte Fotos. Eines der Bilder zeigt ihre Großmutter zusammen mit einem deutschen Soldaten. Nachdem sie die Hochzeitsbescheinigung der Großeltern gefunden hat, rechnet sie nach und stellt fest, dass ihre Mutter am Tag der Heirat bereits eineinhalb Jahre alt war. Auch sieht Lilla weder Tekla noch Konrad ähnlich, dem deutschen Soldaten allerdings auch nicht. Zwischen Juni und ihrer Mutter gab es ebenfalls Unausgesprochenes: Lilla hat ihrer Tochter nie erzählt, wer ihr Vater ist. Alfred, Junis einziger fester Nachbar auf der Insel, hüllt sich in Schweigen. Der frisch geschiedene Georg, der neu auf der Insel ist, ist hingegen sehr hilfreich. Er reist mit Juni nach Deutschland, um gemeinsam mit ihr Licht in ihre Familiengeschichte zu bringen.

Ich habe schon einige Bücher zur Beziehung zwischen Norwegen und Deutschland im Zweiten Weltkrieg und danach gelesen, daher war mir die Thematik bekannt. Wie drastisch die Ächtung war, der sich die 30.000 bis 50.000 Norwegerinnen ausgesetzt sahen, die eine Beziehung zu einem Deutschen führten, war mir allerdings nicht bewusst. Die „tyskerjentene“ wurden von ihrem Umfeld, ihren Familien und auch von der norwegischen Regierung wie Aussätzige behandelt, konnten willkürlich verhaftet werden, oft verloren sie ihre Arbeit und, wenn sie die Deutschen geheiratet haben, auch ihre Staatsbürgerschaft.  

Trude Teiges Buch hat mich sehr berührt und auch sprachlich fand ich das Buch abgesehen von ein paar Schreibfehlern sehr ansprechend. Die Autorin verflicht inspiriert von realen Menschen Fiktion mit Realität. Die Charaktere fand ich gut beschrieben. Vermutlich wird jede Leserin und jeder Leser im Buch ein Pendant finden. Die Kriegsgeneration, die Kriegskinder und die Kriegsenkel werden ebenso dargestellt wie Außenstehende, die mehr oder weniger zur Geschichte beitragen. Auch ohne ausdrücklich ein „Frauenbuch“ zu sein, sieht man daran, dass die Zielgruppe wohl in der weiblichen Leserschaft liegt.

Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt, den im Hier und Jetzt mit Juni im Mittelpunkt und die Erlebnisse von Tekla in Jahren zwischen 1944 und 1948. Beide Stränge habe ich gern gelesen. Das viele Unausgesprochene, das sich quer durch die Generationen zieht, hat mich betroffen gemacht. Dunkle Familiengeheimnisse werden noch dunkler, wenn niemand mehr am Leben ist, der nach vielen Jahren hilft, Licht ins Dunkle zu bringen. Wie viele von uns haben von unseren Großeltern und Eltern immer wieder gehört „darüber reden wir, wenn du erwachsen bist“ – wie bei vielen kam auch bei Juni der Tag nie, denn als sie „erwachsen genug“ war, waren die anderen tot.

Vieles im Buch ist sehr klischeehaft, manches kommt über Küchentischphilosophie nicht hinaus, und dennoch fand ich es sehr gut zu lesen und kämpfte an manchen Stellen mit feuchten Augen. Die schwierigen Mutter-Tochter-Beziehungen hat Trude Teige sehr treffend eingefangen. Am Schluss wäre das Buch dann beinahe doch noch ins Seichte abgerutscht, das konnte die Autorin aber erfreulicherweise gerade noch so vermeiden. Mich hat das Buch enorm berührt und ich freue mich schon auf „Und Großvater atmete mit den Wellen“.

Ich vergebe fünf Sterne.

Freitag, 21. November 2025

Verschworen - Eva Björg Ægisdóttir

»Die Morde in diesem Land sind schlampig und stümperhaft. Werden unter Einfluss von Alkohol oder Medikamenten durchgeführt und passieren meist innerhalb von Familien.« Dass aber auch auf Island Morde durchaus minutiös geplant sein können, zeigt „Verschworen“, der fünfte Teil der Reihe Mörderisches Island von Eva Björg Ægisdóttir. In diesem Teil ist Elma wieder da! Und für alle, die sie im vierten Teil vermisst haben, sei gesagt: sie ist in Topform! Natürlich gibt es wieder Tote, es wird ermittelt, und auch das Privatleben von Elma, Sævar und Hörður kommt nicht zu kurz. Wie immer spielt die psychologische Komponente eine sehr große Rolle, was es für mich zu einem rundum gelungenen Buch macht.

Aber von vorn.

Þorgeir, der Sohn der Nachbarin von Elma und Sævar, wird in einem Ferienhaus in Akranes mit sieben Stichen getötet. Über der Leiche des Einundvierzigjährigen steht der Satz „Mit Blut nimm hinweg die Vergehen und Sünden, o Jesu“ an der Wand. Die Zeile stammt aus einem isländischen Kirchenlied. Erste Ermittlungen zeigen, dass Þorgeir vor seinem Tod nicht allein im Ferienhaus war. Wer ist die ominöse „Andrea“, mit der er sich nach Aussage von Freunden in letzter Zeit getroffen hatte? Woher stammt der riesige Blutfleck im Wohnzimmer, der mit Sicherheit älter als zwei Jahre ist? Elma ist frisch aus der Elternzeit zurück im Job, jetzt kümmert sich ihr Partner Sævar um die inzwischen siebenmonatige Tochter Adda. Er hat auf dem Dachboden ihres neugekauften Hauses eine Kiste gefunden, die der ehemalige Eigentümer zurückgelassen hat. Darin ist auch eine Art Tagebuch eines Jugendlichen. Er war 1995 in einem christlichen Ferienlager, in dem auch das Mordopfer Þorgeir war. In diesem Jahr ist dort ein Junge ums Leben gekommen. Haben die Vorfälle etwa miteinander zu tun? Sævars Vermutung wird zuerst belächelt, aber dann kommt es zu einem weiteren Mord. Und auch das Opfer dieses Verbrechens war seinerzeit im Ferienlager in Vatnaskógur.

Nachdem der vierte Teil der „Mörderisches Island“-Reihe eine Art Intermezzo ohne Elma war, ist sie jetzt wieder im Einsatz. Und wie sie das ist! Zwar hatte sie sich eine ruhigere Rückkehr nach ihrer Elternzeit gewünscht, aber auch in Island nehmen Verbrecher nicht unbedingt Rücksicht auf die Wünsche der Ermittler. Dennoch ist der Krimi eher ruhig und die Ermittlungsarbeit ist kompetent und gründlich. Die Charaktere sind sehr gut beschrieben und selbst die Täter haben eine sympathische Komponente. Die Autorin nimmt die Leserschaft in verschiedenen Zeitebenen mit ins Privatleben der Opfer und Täter und im Hier und Jetzt ins Leben von Elma und Sævar mit ihrer Tochter. Über das Wiedersehen mit Elmas Chef Hörður habe ich mich fast genauso gefreut, wie über das Wiedersehen mit Elma selbst. Hörður trauert auch ein Jahr nach ihrem Tod noch sehr um seine Ehefrau Gígja und schottet sich mehr und mehr ab.

Eine Erzählebene spielt 1995, rund um das christliche Ferienlager. Die Beschreibungen sind bedrückend und vage, die Leserschaft erfährt sehr wenig über die Geschehnisse, aber doch so viel, um die Spannung zu steigern. Obwohl man nicht weiß, wer Täter und wer Opfer ist, und ob es überhaupt ein Opfer gibt, wird man von der Geschichte gepackt und will einfach immer nur weiterlesen. Die zweite Erzählebene spielt 25 Jahre später und umfasst die etwa zweiwöchige Ermittlungszeit, allerdings aus verschiedenen Perspektiven. Der Spannungsbogen ist subtil hoch, allerdings weiß man als Leser:in immer ein bisschen mehr als die Ermittelnden. Obwohl alles überwiegend unblutig und sachlich beschrieben wird, hat man beim Lesen ständig ein ungutes Gefühl.

Die Themen, die Eva Björg Ægisdóttir anspricht, sind unter anderem Mobbing, toxische Beziehungen, Korruption, Familientragödien und Trauer. Als wären diese Themen nicht schwer genug, wartet die Autorin auch noch mit einer konstant düsteren Atmosphäre auf. Ich habe alle Teile der Serie gelesen, man kann die Bücher sicher auch unabhängig voneinander lesen, allerdings sind die Personen so miteinander verflochten, dass die Lektüre sicher mehr Spaß macht, wenn man sie alle in der richtigen Reihenfolge liest. Dieser Band endet mit einem losen Ende, das mich ungeduldig auf den nächsten Teil warten lässt: Sævar, Elmas Mann, hat eine dunkle Vergangenheit, die ihn jetzt einzuholen droht.

Dieses Buch empfehle ich allen Freunden von gut geschriebenen Krimis mit psychologischer Komponente, sympathischen Charakteren und der speziellen Atmosphäre Islands. Fünf Sterne von mir.

Bitteres Ende - Eva Ehley

 Dass man als Literaturkritiker gefährlich lebt, war mir bislang nicht bewusst. Konrad Otze, das Opfer in Eva Ehleys elftem Sylt-Krimi „Bitteres Ende“, ist Literaturkritiker und lebte von Verrissen. Aus einer Menge Verdächtigen strickt die Autorin einen mäßig spannenden und mäßig logischen Krimi, der mich eher unbefriedigt zurücklässt. Am ehesten hat mich noch die Beschreibung der Landschaft aus Sylt überzeugt.

Aber von vorn.

Ein einwöchiges literarisches Colloquium endet damit, dass der anwesende Literaturkritiker Konrad Otze an der Kampener Vogelkoje mit sechs im Körper steckenden Messern aufgefunden wird. Die Rettungskräfte können ihn nur noch tot bergen. Die örtlichen Kommissare Silja Blanck, Bastian Kreuzer und Sven Winterberg fangen an zu ermitteln. Ihr Hauptaugenmerk liegt auf den sechs Teilnehmenden des Colloquiums, da Otze als Kritiker jeden davon gegen sich aufgebracht hatte. War es die Kinderbuchautorin oder der empfindsam scheinende Lyriker? Die Talkmasterin, die Ratgeberautorin oder doch die Nachwuchsautorin? Da die Ermittelnden bei der schreibenden Zunft in einer Sackgasse stecken, müssen sie den Kreis der Verdächtigen auch auf die Mitarbeitenden der Cateringfirma erweitern. Über allem steht aber die Frage nach dem Motiv.    

Nachdem ich von „Böser Abschied“ aus der Sylt-Krimi Reihe von Eva Ehley sehr angetan war, war ich auf „Bitteres Ende“ sehr gespannt. Mehrfach musste ich nachsehen, ob es von derselben Autorin stammt und ob es dieselben Ermittelnden sind. Was wurde aus dem kompetenten Gespann des Buchs, das ich so gern gelesen habe? Wurden die Personen in der Zwischenzeit ausgetauscht? Bastian Kreuzer weiß nicht, was GHB ist? Er hat noch nie von den bekanntesten aller KO-Tropfen gehört? Staatsanwältin Elsbeth von Bispingen sagt ernsthaft „Also ein vorsätzlicher Mord“. Ach herrje. Mord setzt immer Vorsatz voraus – so will es das Gesetz! Hätte es mich nicht brennend interessiert, wer den Literaturkritiker ermordet hat, hätte ich spätestens an der Stelle aufgehört zu lesen.

Insgesamt ist der Spannungsbogen bei dem Buch nicht übermäßig hoch, aber doch so hoch, dass ich unbedingt wissen wollte, wie es ausgeht. Sprachlich ist es angenehm zu lesen, die Charaktere blieben mir dieses Mal sehr fremd. Bei den Ermittlungen scheint oft der Zufall sehr viel nachzuhelfen, da bin ich von der Autorin besseres gewohnt, das Ermittlerteam wirkt an vielen Stellen eher inkompetent und hilflos. Die Teilnehmer des Colloquiums sind sehr klischeehaft dargestellt, wobei ich mich bei der Lektüre die ganze Zeit gefragt habe, ob das ein charmantes Element ist oder schlicht platt. Schon die Zusammenstellung der Vertreter der verschiedenen Genres ist so stereotyp, dass ich mich noch am ehesten mit dem Inseljournalisten Fred Hübner anfreunden konnte, der als einziger authentisch wirkt und weiß, was er tut und auch, was er will.

Sprachlich liegt mir das Buch zum Teil nicht wirklich. Da werden unter anderem Verabredungen und Telefongespräche gecancelt, Telefonate werden aber auch durch „Abhängen“ beendet. Der Schluss des Buchs ist okay und stimmig, wenn auch für mich wirklich weit hergeholt und ein bisschen sehr melodramatisch ist. Nach sehr viel Herumgestochere im Sylter Nebel kommt er für mich auch ein bisschen plötzlich, insgesamt umfasst die Handlung vier Tage. Aber es bleiben keine Fragen offen, das ist ja auch viel wert, zumal der 12. Teil der Reihe schon im Regal auf mich wartet. Ich hoffe, der kann mich wieder mehr packen, für „Bitteres Ende“ gibt es von mir drei Sterne. 


Junge Frau mit Katze - Daniela Dröscher

Nach „Lügen über  meine Mutter“ hat Daniela Dröscher jetzt mit „Junge Frau mit Katze“ eine Art Fortsetzung vorgelegt. Ich war auf das Buch sehr gespannt, aber jetzt, wo ich es durchgelesen habe, lässt es  mich zwiegespalten zurück. Sprachlich ist es angenehm zu lesen, inhaltlich finde ich es in vielerlei Hinsicht schwierig.

Aber von vorn.

Ela liegt in den letzten Zügen ihrer Promotion. Sie hat ihre Dissertationsschrift abgegeben, jetzt steht noch die mündliche Verteidigung an. Ihr Körper droht, ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Auf eine Kehlkopfentzündung folgen verschiedenste Krankheitssymptome und eine Ärzte-Odyssee samt Untersuchungsmarathon. Unterstützt wird sie von ihrer Freundin Leo und ihrem namenlosen Bruder. Der lebt aber mit seinem Lebensgefährten in London, steht selbst kurz vor der Heirat, aber er hilft Ela im Rahmen seiner Möglichkeiten so gut er kann. Mit ihrer Mutter verkehrt Ela telefonisch, ihre Gespräche drehen sich überwiegend um Krankheiten. 

Da ich selbst mit einem Hypochonder in der Familie aufgewachsen bin, weiß ich, wie viel Raum die Psyche bei Krankheiten einnehmen kann. Die Arztbesuche, das Hineinhorchen in den eigenen Körper auf der Suche nach Symptomen, nur, um dann die gestellten Diagnosen sofort in Frage zu stellen – das ist mir alles bekannt. Auch bei Daniela Dröschers Protagonistin Ela ist es nicht anders, wobei sie dazu auch noch sehr widersprüchlich und reichlich medizinisch unbedarft daher kommt. Bei meiner eigenen Hashimoto-Diagnose habe ich mich in die Literatur gekniet, alles gelesen, was mir unter die Finger kam. Auch habe ich die Hormone einfach genommen, die mir der Arzt verschrieben hat, denn nur die Medikamente, die man nimmt, können auch wirken! Aber gut, da ist jeder wohl anders. 

Mir ging ihr „Ärzte-Hopping“ leider ein bisschen auf die Nerven, zumal sie sich auch auf Anregung ihrer Freundin Leo an eine Heilpraktikerin wendet, die ihr etwas von Chakren und Akupunktur vorschwurbelt. Außerdem schreibt sie, die Dosierung ihres Schilddrüsenhormons sei 25 Milligramm. Diese Hormone gibt es ausschließlich in Mikrogramm-Dosen. Und dann noch das gern genommene Chemie-Bashing. Bei dem Spray zur Behandlung ihrer Kehlkopfentzündung konstatiert sie „Es schmeckte widerwärtig, nach Chemie.“ Alles auf dieser Welt ist Chemie, nicht zuletzt auch Luft und Wasser. Und überhaupt, wie schmeckt Chemie eigentlich? 

Ein kleines Bisschen Gesellschaftskritik findet sich erfreulicherweise im Buch auch. Das, was Dr. Wilhelm sagt, hat nämlich im Großen und Ganzen Hand und Fuß. Vor allem, dass zu wenig geforscht wird, weil Frauen in der Medizin weniger vorkommen als Männer. „Hashimoto ist eine Frauenkrankheit“ – da stimme ich ihm zwar nicht komplett zu, es reicht aber aus, um mangelnde Forschung zu erklären. Dass Frauen weniger ernst genommen werden, wenn sie krank sind, ist kein Geheimnis und das erfährt auch Ela immer wieder. Allerdings ist sie für viele ihrer Ärzte und ihre Therapeutin auch sehr anstrengend und dass sie dazu neigt, empfohlene Therapien zu verweigern, macht die Sache nicht einfacher. Beeindruckend fand ich allerdings, dass sie aufwändige Untersuchungen wie EEG, MRT und Magenspiegelung problemlos und ohne lange Wartezeiten zu bekommen scheint.

Sprachlich fand ich das Buch sehr angenehm zu lesen, der Inhalt war leider nichts für mich und der Protagonistin konnte ich nichts abgewinnen. Obwohl wir uns in vielen Dingen ähneln, konnte ich für sie keinerlei Sympathie empfinden oder gar Nähe zu ihr aufbauen. Da konnte weder die Liebesgeschichte noch der Schluss etwas retten, obwohl ich den metaphorisch sehr stimmig fand: Mutter und Tochter beim gemeinsamen „sich Freischwimmen“. Von mir gibt es zwei Sterne. 


Freitag, 7. November 2025

Mein Leben als Zitronenbaum - Peter Freudenthaler/Michaela Frölich

Oft stolpere ich in den sozialen Medien über die Frage: „Welches war das schlimmste Lied der 1990er und warum ist es Lemon Tree?“ Da werde ich nicht müde, für den Song und Fools Garden, die Band dahinter, einzustehen. Ich mag das Lied nämlich gern, daher habe ich auch „Mein Leben als Zitronenbaum – Die Lemon Tree-Story: Fools Garden der Welthit und ich“ mit Freude gelesen. In diesem Buch erzählt Sänger und Songschreiber Peter Freudenthaler die Geschichte der Band, eingebaut in die Geschichte seines eigenen Lebens, aufgezeichnet wurde das alles von Michaela Frölich. Ob man „Lemon Tree“ nun mag oder nicht, Fakt ist: es war ein Welthit und obwohl die Band mit keinem ihrer weiteren elf Alben an den Erfolg anknüpfen konnte, wäre es falsch, sie als „One-Hit-Wonder“ zu bezeichnen, denn da ist noch viel mehr mehr als der Zitronenbaum.  

Aber von vorn.

Peter Freudenthaler wurde 1963 in Pforzheim geboren, Musik war schon immer ein wichtiger Teil seines Lebens. Nach dem Abitur machte er seinen Zivildienst,  anschließend lernte er für ein Jahr Schreiner, eine Voraussetzung für seine Traum-Ausbildung zum Klavierbauer bei C. Bechstein. Nach dem Abschluss schrieb er sich für ein Studium der Medientechnik in Stuttgart ein, dort traf er Volker Hinkel, der später eines der Gründungsmitglieder von Fool’s Garden sein sollte. Die beiden waren musikalisch auf einer Wellenlänge, sodass Peter Freudenthaler damals schon wusste: „Das hier war der Beginn eines neuen Kapitels, für uns beide.“ Der Rest ist Geschichte. 1996 startete Fool’s Garden (damals noch mit Apostroph) durch. Es wurde „Das erste Jahr der allerersten Male“. Die Single „Lemon Tree“ und das Album „Dish of the day“ führten die Charts an. Freudenthaler erzählt von großen Erfolgen und den Schattenseiten des Erfolgs. Mit viel Enthusiasmus beschreibt er das Gefühl, plötzlich auf der Straße erkannt zu werden, aber auch von schlechten Kritiken und den Schattenseiten des Ruhms. 

Das Buch ist sprachlich bodenständig, gut strukturiert und die vielen Anekdoten machen es wirklich interessant zu lesen. Ein paar Stellen hätten für mich mehr Einordnung gebraucht. „Dann kam die erste große Samstagabendshow: Stars ’96, live aus dem Kurhaus in Baden-Baden, moderiert von Eva Herman (die damals noch moderieren durfte).“ – da fehlt mir der Kontext, warum sie nicht mehr moderieren darf. Ebenso fehlt mir die Einordnung bei dem anthroposophischen Altersheim, in dem er seinen Zivildienst ableistete. Er sagt zwar „Ich hatte keine Ahnung, was sich hinter dieser geistigen Ausrichtung verbarg“, geht aber nicht näher darauf ein, was sich denn nun dahinter verbirgt. „Ich war ein sehr verträumtes Kind und lebte oft in meiner eigenen Welt. Heute würde man wahrscheinlich sagen, dass ich leicht autistische Züge hatte“ – so funktioniert Autismus leider nicht, auch das sollte man so nicht in den Raum stellen. 

Abgesehen davon fand ich das Buch wirklich eine lohnende Lektüre. Sprachlich ist das Buch sehr angenehm, beeindruckend fand ich vor allem, dass Peter Freudenthaler kein böses Wort verliert. Nicht über Menschen, die beim Vertragsabschluss 1995 ihre Naivität ausnutzten und auch nicht über die beiden Bandmitglieder, die irgendwann „ihr eigenes Ding“ machen wollten. „Schließlich nahmen Thomas und Roland eigene Songs auf und reichten sie, ohne uns darüber zu informieren, bei unserer damaligen Plattenfirma ein. Das empfanden wir als Vertrauensbruch“ – schärfer wird sein Tonfall auch da nicht. Allerdings trennten sich Fools Garden 2003 und Freudenthaler tourt seitdem überwiegend mit Volker Hinkel als Duo. 

Gerührt hat mich die Wärme, mit der er von seinen drei Kindern und vor allem von seinen inzwischen verstorbenen Eltern erzählt. Interessant fand ich auch die Ausführungen, wie er seine Stücke schreibt: „Unsere Philosophie war simpel: Wenn uns etwas in den Kopf kam, machten wir einen Song daraus, egal, ob es zu dem passte, was wir vorher aufgenommen hatten oder nicht.“ Bei mir läuft seit ein paar Tagen fast pausenlos „Dish of the day“ (aber nicht „Lemon Tree“, sondern „Ordinary Man“), ich schwelge mit Peter Freudenthaler in Erinnerungen und bin dankbar dafür, dass er  mich auf seinen Ausflug in die Vergangenheit mitgenommen hat, denn seine Erinnerungen sind ein Teil meines Erwachsenwerdens. Wegen der fehlenden Einordnung mancher Dinge und der QR-Codes und Links im Buch ziehe ich einen halben Stern ab, aufgerundet vergebe ich aber fünf Sterne.