Donnerstag, 4. Februar 2021

Ich lese dich - Eric Standop

Seit ich einen Vortrag von Niels Krøjgaard, einem dänischen „psychologischen Entertainer“ und Fachmann für nonverbale Kommunikation, gehört habe, ist Gesichtslesen für mich ein interessantes Thema. Deshalb habe ich mich über das Buch „Ich lese dich: Geheimnisse eines Facereaders“ von Eric Standop sehr gefreut. Und völlig enttäuscht hat das Buch mich nicht, aber fast. Denn es bleibt weit hinter den Werken von Paul Ekman oder von Joe Navarro über Mikroexpressionen und deren Deutung zurück.

Stellenweise fand ich das Buch sehr interessant, vor allem, wenn es um objektive Ansätze ging, die der Autor auch wissenschaftlich belegen kann. Daher fand ich die zahlreichen Bilder, die seine Ausführungen zur Rolle von Augen („Die Augen als Tor zur Gedanken- und Gefühlswelt“) und Mund, Stirn, Ohren und besonderen Merkmalen sehr interessant und lehrreich, wobei ich da schon der Position von Muttermalen und Ohren und deren Bedeutung wenig Wissenschaftliches abgewinnen konnte. Im Endeffekt sind viele Muttermale und auch der Sitz der Ohren (zumindest in meiner Familie) ebenso vererbt wie die Höhe der Stirn. Zudem handelt es sich dabei nicht um unveränderliche Merkmale (Stichwort angelegte ehemals abstehende Ohren, Botox bei Stirnfalten oder entfernte Muttermale).

Schlichtweg unwissenschaftlich finde ich aber seine Exkurse zum esoterischen Gedankengut. Hellsichtigkeit definiert er zwar anders, als es landläufig der Brauch ist („Hellsichtige sind Menschen, die etwas wahrnehmen, was andere nicht sehen oder erkennen.“), das macht sie aber nicht „hell“sichtig, sondern meiner Meinung nach eher besonders empathisch und sensibel. Ebenso schwierig und eher pseudo-wissenschaftlich angehaucht finde ich seinen Blick auf Dinge wie „Antlitzdiagnostik“ (die in der Hauptsache von Heilpraktikern praktiziert wird) oder die traditionelle chinesische Medizin, der ebenfalls die Evidenz fehlt. Diese eher pseudo-wissenschaftlichen „Erkenntnisse“ machen sehr viele der Ansätze, die er beschreibt, rein subjektiv und sie lesen sich für mich wie eine wilde Mischung aus Kaffeesatzlesen, Wahrsagen und schlichtem Raten gepaart mit guten Ratschlägen wie auf dem Abreißkalender oder in den einschlägigen Frauenzeitschriften. Denn neben wissenschaftlichen Grundlagen fußt das Gesichtslesen in der Hauptsache auf Intuition, Empathie und Instinkt – und jahrelanger Erfahrung.

So wechselten sich für mich in dem Buch sehr interessante und informative Teile mit sehr vielen eher wenig greifbaren Passagen ab, dazwischen streut der Autor Anekdoten aus seinem Alltag (beruflich und privat) ein, die ganz nett sind, aber in der Hauptsache zeigen, wie gut er seinen Job macht. Zwar schreibt er über „wertfreie Ratschläge“ und vorurteilsfreies „Reading“, aber manchmal blitzte für mich dann doch ein „confirmation bias“ durch. Alles in allem ist es für mich bestenfalls ein populär- oder pseudowissenschaftliches Buch, für den Laien nett zu lesen, mehr aber auch nicht. Seine häufige Selbstbeweihräucherung machte mir das Buch manchmal wirklich madig. Der Autor findet sich selbst schon extrem toll. Er ist wohl einer der Vorreiter auf seinem Gebiet und weiß sich (und seine Arbeit) auch zu verkaufen.

Daher fand ich das Buch insgesamt eher mittelmäßig. Zwar ist es durch die Anekdoten unterhaltsam, durch die fehlende Wissenschaftlichkeit mir aber zu oberflächlich. Schade, denn da hat der Autor eine Menge Potenzial verschenkt. Von mir 2 Sterne.

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