Mittwoch, 1. Dezember 2021

Falladas letzte Liebe - Michael Töteberg

Meine ersten Erfahrungen mit „Erwachsenenliteratur“ sind untrennbar mit Hans Fallada verknüpft. „Kleiner Mann, was nun“ war der erste seiner Romane, die ich als junger Mensch gelesen habe. Daher war es für mich nach der Lektüre von „Meine lieben jungen Freunde: Briefe an die Kinder“ klar, dass ich auch Michael Tötebergs Buch „Falladas letzte Liebe“ unbedingt lesen wollte. Der Autor ist Fallada-Fachmann, das Buch aber keine Biografie, sondern vielmehr eine dokumentarische Erzählung über die letzten Lebensjahre des Autors. Herausgekommen ist für mich ein enorm lesenswertes Buch über den Schriftsteller, basierend auf seinen Werken, Briefen oder anderen Zeugnissen, bei denen sich der Autor nach eigenen Aussagen „eng an die überlieferten Dokumente gehalten, sich jedoch die Freiheit genommen, Dinge zusammenzuziehen und die Chronologie leicht zu verändern.“ Einerseits ist Falladas Geschichte nach 1945 eine Nachkriegsgeschichte wie viele andere, voller Not, Probleme mit der russischen Besatzung und Unsicherheit. Andererseits ist sie natürlich sehr besonders, denn nichts in Falladas Leben scheint „gewöhnlich“ gewesen zu sein.

Die letzten Lebensjahre teilte Hans Fallada nach der („ekligen“) Scheidung von seiner zweiten Frau Anne Issel (von ihm Suse genannt) 1944 mit seiner 28 Jahre jüngeren Ehefrau Ulla Losch. Nichts in Falladas Leben war einfach, so auch diese letzte Ehe nicht. Nach 20 rauschgiftfreien Jahren kommt er durch Ulla an Morphium und beide rutschen schnell tief in die Sucht, aus der sie sich auch durch zahlreiche Entziehungskuren nicht befreien können. So liebevoll die Beziehung zwischen den beiden gewesen sein mag – für Fallada begann damit wohl endgültig der Anfang vom Ende („Ulla war sein Glück, aber – das ahnte er von Anfang an – auch sein Unglück“) und eine Spirale aus Drogen, Entzug, Euphorie, Alkohol, Todessehnsucht, finanziellen Problemen („Ulla war groß im Geldausgeben.“, was zuletzt zu zigtausend Mark Schulden führte), Schaffensperioden, Schaffenskrisen, Entzug und immer wieder Rückfällen in die Sucht. Dazu Streitigkeiten mit der ex-Frau und Probleme mit der russischen Besatzung (er musste als Bürgermeister in Feldberg fungieren, ein Amt, das er hasste und dessen Ausübung ihn bis zum Zusammenbruch quälte). Da er während der Zeit des Nationalsozialismus als reiner Unterhaltungsschriftsteller sehr erfolgreich war, hatte er zudem große Schwierigkeiten, einen Verlag zu finden („Sein Ruf in der literarischen Welt als anerkannter Schriftsteller war ruiniert, die Verhältnisse hatten ihn zu einem Produzenten von Schundliteratur gemacht.“). Aber er musste ja auch erst einmal etwas Verlegenswertes zu Papier bringen. Einen Verlag fand er dann, nachdem er Johannes Bechers Kulturbund beigetreten war („Becher glaubte an den Autor Fallada. Mehr als dieser an sich selbst. Das tat gut.“)

Michael Töteberg schildert den äußeren Kampf Falladas (um seine Gesundheit, sein Leben, gegen die Bürokratie) und die inneren Kämpfe (gegen Alpträume, Todessehnsucht und Schreibblockaden), für einen neuen, letzten großen Fallada-Roman packend und berührend. Denn der Leser weiß ja, wie Falladas Leben endete – und trotzdem machte es mich beim Lesen betroffen und traurig, dass er die Veröffentlichung seines letzten großen Wurfs „Jeder stirbt für sich allein“ nicht mehr erlebt hat. Der Wettlauf gegen Deadlines für Veröffentlichungen und die ständige Jagd nach Morphium, zusammen mit Ausrastern der „gequälten Künstlerseele“, machten das Buch für mich stellenweise sogar spannend zu lesen. Dazu einerseits Fallada als Kindernarr und Familienmensch und auf der anderen Seite eine eher vergnügungssüchtige junge Ehefrau, die sich dem Vernehmen nach eher aufführte wie eine weitere Tochter – ja, das Buch brachte mir Hans Fallada näher. Einen zwiespältigen, zerrissenen Menschen, getrieben von Sucht und Sehnsucht.

Daher vergebe ich für dieses äußerst gelungene Buch fünf Sterne.

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