Mittwoch, 20. Juli 2022

Braunes Erbe - David de Jong

 „Ich bin Kapitalist. Mir gehört ein Viertel von Bahlsen, da freue ich mich schon drüber.“ Mit diesen Worten redete sich Verena Bahlsen 2019 um Kopf und Kragen. Dass sie mit ihrem Geld auch weiterhin Segeljachten und so was kaufen möchte, war da nur ein Sahnehäubchen. Um Jachten und so was ging es auch in einem Interview mit einer anderen schwerreichen Deutschen: „Manche glauben, dass wir ständig auf einer Jacht im Mittelmeer herumsitzen“, so Susanne Klatten, Milliardärin und Mitglied des Quandt-Clans, als sie betonte, wie hart ihr Leben sei („Wer würde mit uns tauschen wollen?“). Was die beiden gemeinsam haben, hat der Wirtschaftsjournalist David de Jong in seinem Buch „Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“ beleuchtet. Exemplarisch erzählt er am Beispiel der Unternehmerfamilien Quandt, Porsche, Flick, von Finck und Oetker über ihren Aufstieg in der Nazizeit. Dabei schlägt er in dem informativen, interessanten und äußerst lesenswerten Buch einen Bogen vom Damals der Kaiserzeit zum Heute, von den Patriarchen zu den oben genannten Erben der Dynastien. 

Aber von vorn. 

Sowohl bei Bahlsen wie auch in der Familie Klatten/Quandt entstand ein nicht unbeträchtlicher Teil des Vermögens zwischen 1933 und 1945. Durch großzügige Spenden an die NSDAP („Der NSDAP drohte permanent die Pleite, sie brauchte alle Mittel, die sie bekommen konnte.“), Investitionen in Rüstungsindustrie und die Beschäftigung von Zwangsarbeitern wurden Familien wie Quandt, Flick, Oetker/Kaselowsky, Porsche/ Piëch oder von Fink, die zum Großteil vorher schon wohlhabend waren, schwerreich. Und ihre Spenden an die NSDAP leisteten dem Nationalsozialismus enormen Vorschub. 

Und als wären ihr Kriegsprofit, die Arisierungen (dadurch rissen sie nicht nur Fremde und Konkurrenten, sondern ehemalige Kollegen und sogar Freunde ins Verderben) und die Ausbeutung von Zwangsarbeitern nicht schockierend genug, beschreibt de Jong ausführlich den Umgang der Nachkommen mit ihrem „braunen Erbe“. Nachdem die Firmenchefs nach 1945 überwiegend mit einem „Klaps auf die Finger“ (persil)reingewaschen in die Nachkriegszeit gingen, bekamen sie größtenteils ihr Vermögen zurück, mehrten es und hatten weiterhin ihre Finger in allen möglichen Firmen, unter anderem auch in solchen, die sie sich durch Arisierung angeeignet hatten. Nur einer der Finanzmagnaten der Nazizeit wurde bei den Nürnberger Prozessen verurteilt. Und statt mit sich selbst wegen des begangenen Unrechts ins Gericht zu gehen, praktizierten sie, wie beispielsweise Ferry Porsche, eine Täter-Opfer-Umkehr. „Nach dem Krieg wirkte es so, als würden diese Menschen, die von den Nazis verfolgt worden waren, es als ihr Recht ansehen, zusätzlichen Gewinn zu machen, selbst in Fällen, in denen bereits eine Entschädigung gezahlt worden war“, schrieb er unter anderem über den ehemaligen Porsche-Mitbegründer Adolf Rosenberger, dessen Firmenanteil „arisiert“ worden war. 

Intransparenz ist bei vielen Firmenerben heute noch Programm, Leugnen, Relativieren und Verharmlosen an der Tagesordnung. Nach Aussage der Erben waren ihre Vorfahren also alle keine überzeugten Nationalsozialisten und keiner verfolgte ideologische Ziele und Zwangsarbeiter wurden immer gut behandelt. Und wenn man ihnen anhand von Quellen nachweisen kann, dass alles doch ganz anders war? Dann geben sie exakt so viel zu, geben eigene Studien zum Thema in Auftrag und spielen, wenn möglich, die Beteiligung ihrer Vorfahren herunter. 

Das möchte der Niederländer David de Jong, dessen Großeltern die Nazizeit nur durch Glück überlebt haben, nicht so stehenlassen. Er hat ein wahres Fleißwerk abgeliefert. Minutiös ackert er sich durch Welt- und Familiengeschichte, belegt mit zahllosen Quellen und Querverweisen seine Ergebnisse. Es ist ein teilweise spannendes, auf jeden Fall aber schockierendes Buch, das sehr nachdenklich macht. Von mir eine absolute Lese-Empfehlung für alle, die sich für das Thema interessieren, und fünf Sterne. 


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