Montag, 16. Januar 2023

Was wir verbergen - Arttu Tuominen

 Nach „Was wir verschweigen“ ist „Was wir verbergen“ der zweite Teil der Delta-Reihe des finnischen Autors Arttu Tuominen. Das Buch behandelt mit einem homophob motivierten Anschlag auf einen Nachtclub ein völlig anderes Thema (Band 1 handelte von einem Mord aus Rache), ist aber nicht minder spannend und auch in diesem Teil kommt die psychologische Komponente nicht zu kurz. Man kann das Buch lesen, ohne den ersten Teil zu kennen. Aber warum sollte man? Sie sind beide echte Pageturner.

Aber von vorn.

Im Club „Venus“, einem bei Homosexuellen beliebten Nachtclub explodieren zwei Handgranaten. Fünf Menschen sterben, viele werden teils schwer verletzt. Ein Bekennervideo zeigt einen selbsternannten „Gesandten“, der für die Tat religiöse Motive angibt. Kommissar Henrik Oksman von der Kripo in Pori übernimmt zusammen mit seinen Kollegen die Ermittlungen und bringt sich in eine Bredouille: er war selbst kurz vor dem Anschlag in dem Club. Da er aber ungeoutet lebt, darf davon niemand wissen, zumal er mit blonder Perücke und einem roten Kleid dort war. Die Ermittlungen führen ihn und die Kollegen in verschiedene Richtungen, zumal die Granaten aus dem Bestand der finnischen Armee stammen. In den Fokus rückt schnell die Neonazi-Organisation White Order deren Mitglieder den Anschlag feiern („Ich kann tatsächlich nicht behaupten, dass es mich besonders mitnimmt, wenn ein paar Schw***teln abkratzen. Ehrlich gesagt hat mich seit Langem nichts so gefreut.“). Der Anschlag spaltet die Bevölkerung in diejenigen, die ihn verurteilen auf solche, die ihn gutheißen, ja sogar befürworten. Und als dann noch ein Vater und sein Sohn als vermisst gemeldet werden, die die Zeitschriften der Zeugen Jehovas verteilen wollten, in deren aktuellen Ausgaben lange Artikel über Homosexualität enthalten sind, sieht Oksman als einziger einen möglichen Zusammenhang. Langsam läuft den Ermittlern die Zeit davon. 

Wie gesagt, das Buch hat mich gefesselt und ich habe es innerhalb kürzester Zeit durchgelesen, mit der traurigen Erkenntnis am Schluss, dass ich nun eine ganze Weile auf die Fortsetzung warten muss. Sei’s drum. Sprachlich topp, Übersetzung gelungen. Konzeptionell hervorragend und rasant spannend. Die beiden Erzählebenen beinhalten sowohl die Ermittlungen als auch die Perspektive des „Gesandten“, in Gegenwart und in Vergangenheit. Man lernt ihn besser kennen und erkennt die Motive hinter seiner Tat, erfährt aber erst am Schluss, wer er ist. Die Charaktere (dieses Mal steht mit Henrik Oksman ein anderer Polizeibeamter im Mittelpunkt als in Teil 1) sind sauber ausgearbeitet, ebenso das Setting in der eigentlich ruhigen Hafenstadt, die plötzlich von einer Welle aus Gewalt und Gegengewalt überrollt wird.  Wie schon in „Was wir verschweigen“ gelingt es Arttu Tuominen nicht nur, einen packenden Krimi zu konstruieren, er schafft es auch, ein aktuelles Thema darin so zu verarbeiten, dass es ein politischer Krimi wird, ohne zu politisieren. Er nimmt auch die Gesellschaft unter die Lupe: die Frömmler, die Neonazis und die aus anderen Gründen Homophoben. Am Beispiel von Pfarrer Mikael Fredriksson zeigt er, dass nicht alle Pfarrer Homosexualität verurteilen. Außerdem legt er ein Augenmerk auf die Scheinheiligkeit derer, die sich auf die Bibelstelle „Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel“ beziehen, denen aber „du sollst nicht töten“ egal ist. Während Hendrik Oksmans Doppelleben (ob er nun Crossdresser oder Transvestit ist, wird nicht aufgeklärt) ein essenzieller Teil der Handlung ist, sind Ausflüge in Jari Paloviitas Privatleben eher Verschnaufpausen fürs Publikum. 

Vielleicht bin ich als ebenso wie Hendrik Oksman Betroffener voreingenommen. Mich hat das Buch tief ins Herz getroffen und es wird noch lange nachhallen. Was Erziehung, Fanatismus und Hass anrichten können, ist erschreckend und mir „ein Gräuel“. Das Buch ist für mich ein echtes Highlight und eine klare Lese-Empfehlung. Fünf Sterne.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.