Freitag, 30. November 2018

Mutters Flucht - Andreas Wunn

Flucht und Flüchtlinge sind ein aktuelles und heikles Thema. Heute und vor 70 Jahren schon. Die Mutter des Journalisten Andreas Wunn ist 1947 mit Mutter, Bruder und Großmutter aus Setschan, einem Ort im serbischen Teil des Banats, nach Deutschland geflüchtet, zum Teil über die heute bekannte „Balkanroute“.

Als 75Jährige sieht Rosmarie Wunn, geborene Loch, ihren ehemaligen Heimatort wieder, nachdem sie die Stationen ihrer Flucht besucht hat. Die Reise beginnt in Hauenstein, einem Ort in der Pfalz, wo die Flucht seinerzeit endete. Von da aus geht die Fahrt weiter nach Bayern und dann über Österreich und Ungarn nach Serbien.

Ich als Leser hatte von der ersten Minute an den Eindruck, dass die Mutter diese Reise nur ihrem Sohn zuliebe macht. Sie scheint zu keiner Zeit das wirkliche Bedürfnis zu haben, ihre „Verlorene Heimat“ (Untertitel des Buchs „Auf den Spuren einer verlorenen Heimat“) zu suchen und zu finden. Sie lebt viel mehr im Hier und Jetzt, das Vergangene ist für sie vorbei und muss nicht am Leben erhalten werden. Die pensionierte Lehrerin steht mit beiden Beinen im Leben, ihr Herz hängt weder an Erinnerungen noch an Erinnerungsstücken. Für sie sind weder Gräber wichtig, um an die Verstorbenen zu denken, noch braucht sie Briefe oder andere Andenken, um an etwas zu denken. So viel Pragmatismus scheint dem Sohn/Autor nicht zu behagen. Er versucht immer und immer wieder, seine Mutter zu Gefühlsregungen zu verleiten, die ihr aber nicht liegen.

Aus psychologischer Sicht nachvollziehbar: in den Augen des Sohnes hat sie die Flucht und alles, was dazu gehört, verdrängt und muss an die Erinnerungen wieder herangeführt werden. Aber es scheint, als suche er stellvertretend für seine Mutter nach Wurzeln, die er nicht hat und sie nicht vermisst. Denn, schaut man sich die Biografie von Andreas Wunn an, hat auch er nicht wirklich Heimat und Wurzeln, er war nach seinem Abitur erst in Bolivien, anschließend in Berlin, San Francisco, Potsdam, Tokio, Berlin, dann Korrespondent in Südamerika (vor allem in Rio de Janeiro), ist mit einer Braslianerin verheiratet und lebt inzwischen wieder in Berlin.

Für die Mutter ist es auf der Reise auch oft unnötig, sich die Gebäude anzusehen und das Zusammentreffen mit Einheimischen und das Gespräch mit ihnen scheint ihr oft peinlich. Ich als Leser bekam immer wieder den Eindruck, dass die Mutter von den Orten ihrer Kindheit und Flucht so schnell wie möglich wieder weg will. Und ich hatte manchmal einfach das Bedürfnis, den Autor anzuschreien „quäl deine Mutter doch nicht so! Sie will das alles doch gar nicht!“

Und so bleibt man am Ende des Buchs zwar in historischer Hinsicht schlauer zurück, über die Gefühle und Gedanken der eigentlichen Hauptperson hat man aber so gut wie nichts erfahren.

Sprachlich ist das Buch wie die beschriebenen Gefühle der Mutter: knapp, nüchtern, sachlich, unemotional und prägnant.

So ist es für mich ein in eine persönliche Geschichte verpacktes Geschichtsbuch vom Vorwort bis zum Zitat- und Literaturnachweis. Denn über das Banat, die Geschichte der Donauschwaben, ihre Gebräuche und ihr Leben habe ich jede Menge erfahren, was ich vorher noch nicht wusste. Mehr aber auch nicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.