Montag, 26. Oktober 2020

Die Wahnsinnige - Alexa Hennig von Lange

Mehr als ein halbes Jahrtausend ist die Geschichte von Johanna I. von Kastilien, genannt „Johanna die Wahnsinnige“ schon alt, die Alexa Hennig von Lange im gleichnamigen Buch erzählt. Aber das Buch ist keine Biografie der „Königin von Kastilien und León und der westindischen Inseln und des Festlandes am Ozean“ sondern vielmehr eine fiktive Erzählung aus einem kleinen Teil des langen Lebens der Regentin. Und ich fand die Geschichte trotz ihres Alters immer noch aktuell und konnte mich im Charakter der Hauptfigur in einigem wiederfinden.

„Das kastilische Volk ist nun nach all deinen Wutanfällen in großer Sorge, du könntest den Irrsinn deiner Großmutter geerbt haben“, sagt Philip der Schöne, Johannas Mann zu ihr. Was aber war tatsächlich der Irrsinn, an und unter dem sie litt? War sie wahnsinnig? Die Antwort auf diese Frage gibt der Roman nicht wirklich, allerdings bot er mir viel Stoff zum Nachdenken. Bislang war Johanna I. von Kastilien oder Johanna die Wahnsinnige mir völlig unbekannt. Jetzt habe ich sie als eine starke, unbeugsame Frau kennengelernt, die ihrer Zeit weit voraus war.

Sie versuchte früh, sich zu emanzipieren, ließ sich von niemandem etwas befehlen und lehnte sehr viele der damaligen Gepflogenheiten ab. „Sie war eine Frau ohne Mann. Keine Witwe. Keine unglückliche Geliebte. Auch keine Tochter, die überhaupt erst etwas wert war, wenn sie endlich von ihrer Mutter anerkannt wurde. Sie musste aufhören, auf etwas zu hoffen, das sich in ihrem Leben niemals einstellen würde: Liebe von ihrem Mann. Anerkennung von ihrer Mutter.“ – diese Sätze charakterisieren die Frau sehr gut und zeichnen ein deutliches Bild ihres Lebens. Einerseits des Strebens danach, als Mensch wahrgenommen und anerkannt zu werden. Andererseits weiß Johanna (zumindest der Buch-Charakter) aber auch genau, dass sie eben dies durch ihre Art (sie weigert sich unter anderem zu beten und zu beichten) nicht erreichen können wird. Dieser Zwiespalt ist im Buch sehr deutlich spürbar und hat mich sehr nachdenklich gemacht. Immer wieder bekam ich das Gefühl, sie sei nicht wahnsinnig, sondern wahnsinnig wütend, wahnsinnig traurig und alles in allem verzweifelt, gefangen zwischen einem Mann, den sie liebt (der sie aber immer wieder betrügt), den Kindern, die sie liebt (denen sie es aber nicht immer zeigen kann) und der Mutter, von der sie selbst immer nur geliebt, aber auch geachtet und geschätzt werden möchte.

Johanna erreichte einen Teil ihrer Ziele nur dadurch, dass sie ihre Ideale aufgab, also nicht die Welt veränderte, sondern sich selbst. Sie lebte viele Jahre nicht nur in einer Art inneren Gefangenschaft, sondern auch physisch eingekerkert. Dadurch ist das Buch weder eine Biografie noch ein historischer Roman, sondern eine sensible Betrachtung einer interessanten Frau, die aus den falschen Gründen in die Geschichte eingegangen ist – sie war nicht wahnsinnig, wenn auch vermutlich psychisch nicht ganz gesund. Die Buch-Figur Johanna und ihre Vorstellungen vom Leben passten einfach nicht in die Zeit, in der sie lebte. Für mich, ganz unabhängig von historischer Richtigkeit, ein starkes Buch, sprachlich gut und flüssig zu lesen, 5 Sterne.

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