Die Scilly-Inseln, auf denen Kate Penroses sechster Ben-Kitto-Krimi „Düster ruht die See“ spielt, sind idyllisch und das Leben könnte für Ben (Abkürzung für Benesek) und seine Lebensgefährtin Nina so schön sein. Sie sind glücklich zusammen und demnächst soll ihr gemeinsames Kind zur Welt kommen. Doch dann taucht plötzlich auf einer höchst umstrittenen Baustelle ein Skelett auf und bringt dunkle Unwetterwolken mit sich. Kurze Zeit später wird auch noch einer der größten Gegner der Baumaßnahmen tot aufgefunden. Noch dazu hat ein im Sterben liegender Gangsterboss Ben und allen anderen an seiner Verhaftung Beteiligten Rache geschworen. Und plötzlich ist das Skelett auf einmal nicht mehr Bens einziges Problem.
Aber von vorn.
Oder auch nicht. Denn das Bisschen, was ich da beschrieben habe, ist praktisch eine Essenz des Buchs. Und so unscheinbar es möglicherweise aussehen mag – das Buch hat es in sich! Es wird in zwei parallel verlaufenden Handlungssträngen erzählt, die auf den ersten Blick simpel scheinen, es natürlich aber nicht sind. So erlebt man im einen Erzählstrang aus der Sicht von Ben das, was auf seiner Heimatinsel Bryher geschieht. Dort wollen Maeve und Danny Trenwith ein Zentrum für Outdoor-Aktivitäten errichten, was bei vielen Inselbewohnern für viel Unmut sorgt. Viele glauben, dass die renommierten Architekten sich die Baugenehmigung ergaunert haben und mit ihrem Bauvorhaben sowohl den Frieden auf der Insel als auch die Natur zerstören werden. Das auf den Baustelle gefundene Skelett stoppt die Arbeiten erst einmal, allerdings liegen die Knochen und der Schädel schon seit 20 bis 30 Jahren dort im Boden, was die Identifizierung schwer macht. Und dann sind die Knochen auch noch plötzlich verschwunden.
Parallel dazu erlebt man die Geschichte aus Sicht der Täterin Ruby. „Leg noch heute los, Ruby. Zeig’s den Mistkerlen, die mich eingebuchtet haben. Nichts anderes zählt. Wenn’s Probleme gibt, knöpf dir ihre Familien vor. Hinterlass eine Spur der Verwüstung, damit uns niemand vergisst.“ – mit diesen Worten hat ihr Vater sie auf ihrem Krankenbett aufgefordert, seine Rachepläne zu verwirklichen. Leichen pflastern Rubys Weg und ihr finales Opfer soll Ben sein. Der hatte seinerzeit ihren Vater als Undercover-Ermittler zur Strecke gebracht. Ben kämpft an allen möglichen Fronten: er sucht einen Mörder, muss das gefundene Skelett identifizieren, ist auf der Flucht vor einem unbekannten Serienkiller – und noch dazu steht seine aufs Festland in Sicherheit gebrachte Lebensgefährtin Nina kurz vor der Niederkunft.
Da hat sich Kate Penrose für ihren sechsten Teil der Ben-Kitto-Reihe eine ganze Menge vorgenommen. Und sie hat alle Elemente, wie gewohnt, gekonnt ausgearbeitet und zu einem stimmigen Schluss geführt. Sprachlich ist das Buch äußerst angenehm zu lesen und der Spannungsbogen ist, trotz aller Ruhe und Idylle durch die Landschaftsbeschreibungen, konstant hoch. Die Charaktere sind Freunden der Serie zum Teil schon bekannt, aber auch sie bekommen einen weiteren Feinschliff verpasst, durch den man neue Facetten an ihnen erkennt. Auch die „neuen“ Charaktere sind sehr bildhaft beschrieben, vor allem natürlich Ruby als designierte Gegenspielerin von Ben und seinen Kollegen. Fast könnte man ihre Intentionen ja verstehen – aber nur fast. Die psychologische Komponente an diesem Krimi ist hervorragend ausgearbeitet. Sowohl Rubys pflichtbewusstes und emotionsloses Verhalten wie auch Bens schmerzhafte Erinnerungen an den traumatischen Undercover-Einsatz geben dem Buch eine sehr spezielle Tiefe, die über den bloßen Krimi hinausgeht.
Das Wiedersehen mit Ben Kitto und den anderen liebgewonnenen Charakteren und die Ermittlungen machen den Krimi für mich wieder einmal zu einem ganz besonderen Vergnügen. Vor allem aber die Atmosphäre auf den Scilly-Inseln, die zwischen klaustrophobisch, einsam und idyllisch hin- und herschwankt hat es mir angetan. Von mir natürlich fünf Sterne.
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