„Schuld“ ist der dritte Krimi aus Sven Petter Næss Serie um den norwegischen Ermittler Harinder Singh. Hundertprozentig konnte das Buch mich nicht begeistern, ich fand es etwas schwächer als den Vorgänger „Furcht“. Es war alles in allem kein schlechtes Buch, aber der Funke sprang einfach nicht über, außerdem fehlte mir ein bisschen die Spannung.
Aber von vorn.
Nachdem Harinder Singh endlich eine Kniegelenksprothese ins
rechte Bein eingesetzt wurde, ist er noch nicht wieder dienstfähig. Die OP war
kompliziert und die Reha zieht sich. Dass die Strafverteidigerin Christina
Sandberg ihn um Hilfe in einem Fall bittet, ist eine willkommene Abwechslung
für ihn. Helene Waaler war vor 18 Jahren wegen des Doppelmordes an ihrer Mutter
und ihrem Stiefvater verurteilt worden. Jetzt wurde sie vorzeitig aus der Haft
entlassen. Der Fall ist für Harinder sehr speziell: er kennt Helene und ihre
verstorbene Mutter aus der Schulzeit. Helene war zwei Klassen unter ihm, ihre
Mutter war seine Klassenlehrerin. Helene hatte immer ihre Unschuld beteuert und
möchte mit Christina Sandbergs Hilfe ein Wiederaufnahmeverfahren anstrengen.
Harinder beginnt zu ermitteln. Er geht alte Akten durch, besucht Tatorte und
ehemalige Weggefährten von Helene. Schnell hat er mehr Fragen und Zweifel als
Antworten. Außer seinem Chef Eystein Musæus, der damals die Ermittlungen gegen
Helene leitete, scheint er auch noch anderen auf die Füße zu treten. Seine Wohnung
wird verwanzt, seine Computer angezapft und er wird überwacht. Während er sich
und seine Tochter Savi in Sicherheit bringen muss, drängt sich eine Frage auf:
wurde Helene Opfer eines Justizirrtums? Hatten die Ermittler sich damals zu
vorschnell auf sie als Täterin versteift? Noch komplizierter wird alles, als Helenes
leiblicher Vater Stig Waaler tot aufgefunden wird. Sie hatte sich kurz zuvor
mit ihm getroffen und sie gingen im Streit auseinander. Der alte Fall und ein
neuer Mord treffen aufeinander.
Die Idee hinter dem Krimi finde ich ganz hervorragend. Es
beginnt mit einem ermordeten Ehepaar und der Fall zieht weite Kreise. Über der
ganzen Geschichte schwebt die Frage: cui bono? Wer profitiert von ihrem Tod?
Die impulsive und aggressive Tochter, die Probleme mit Eltern und Drogen hatte
und sich an den Abend der Tat nur noch bruchstückhaft erinnern kann? Oder der
Bruder des Ermordeten, der den Hof erbte und alles an einen Investor verkaufte,
nachdem Helene im Gefängnis war? Oder steckt jemand ganz anderes dahinter? Der
Frage muss auch Harinder Singh nachgehen. Fast 20 Jahre später passiert im
selben Umfeld noch ein Mord. Die Verknüpfung der beiden Fälle, die so lang
auseinanderliegen und doch zusammenhängen, fand ich sehr spannend.
Psychologisch fand ich den Krimi gut. Was geht in einem
Menschen vor, der fast sein halbes Leben im Gefängnis verbracht hat, vor allem,
wenn er sein Leben lang als „schwierig“ galt? Was erwartet diesen Menschen,
wenn er nach seiner Haftentlassung in die alte Heimat zurückkommt? Die
Charaktere fand ich sehr gut ausgearbeitet. Vor allem Helene Waaler und
Christina Sandberg zeichnet Sven Petter Næss als äußerst starke und
selbstbewusste Frauen. Harinder Singh und seine Tochter Savi bekommen neue
Facetten, wobei bei Harinder nicht wirklich eine Entwicklung festzustellen ist:
er ist immer noch derselbe sture und zielstrebige Ermittler.
Sprachlich fand ich das Buch ansprechend, es lässt sich gut
und flüssig lesen. In die laufende Erzählung werden immer wieder kurze
Einblicke in die Gedanken eines Unbekannten eingeschoben (Zwischenkapitel,
kursiv gesetzt). Er verfolgt sowohl Harinder Singh als auch die Anwältin
Christina Sandberg. Wer er ist und wieso er die beiden observiert, erfährt man
erst spät, wodurch die Leserschaft einen gewissen Wissensvorsprung gegenüber
den Ermittlern hat. Dadurch wird die, sonst meiner Meinung nach etwas spärliche
Spannung, etwas gesteigert. Begeistern konnte das Buch mich trotzdem nicht, aber
es hat mich gut unterhalten. Von mir vier Sterne.
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