Dienstag, 28. Januar 2020

Himmel, Hölle, Rock'n'Roll - Chris von Rohr

„Gott liegt im Detail!“ dachte sich wohl auch Chris von Rohr und lieferte mit seiner Autobiografie ein Buch mit über 700 Seiten ab. Aber er ist inzwischen fast 70 Jahre alt, fast gut 45 davon ist er im Musikgeschäft – da kann man halt auch eine Menge erzählen. Kann man, muss man nicht unbedingt. Daher kann ich ganz klar sagen, dass das Buch für jeden, der sich für die Materie und/oder Chris von Rohr, Kaktus, Gotthard und Co. interessiert, ein echter Lesegenuss ist. Für alle anderen ist es eine pure Selbstdarstellung, ein Wust aus Reisen, Business, Frauen, Drogen und viel zu vielen Namen.

Ich muss sagen, dass mir der Stil des Autors nach und nach immer mehr missfiel. Anfangs mögen seine endlos aneinandergereihten Anglizismen, die verwirrenden Spitznamen für die Menschen in seinem Umfeld und seine schweizerisch-hochdeutsch-englische Schreibe lustig und frisch sein, mit der Zeit wird es aber abgedroschen und fade. Ja, er ist weit herumgekommen, weltmännisch und wortgewandt – aber dass er dies praktisch in jedem zweiten Satz plakativ zur Schau stellt, wird mit der Zeit öde. Sehr interessant und zum Teil höchst philosophisch, fand ich hingegen seine Belesenheit, die man anhand der von ihm verwendeten literarischen Zitate erahnen kann. Das unterscheidet ihn vermutlich von sehr vielen seiner Musiker-Kollegen.

Andererseits bedient er in seinem Buch praktisch jedes Klischee, nährt alles, was man über Rockmusiker so lesen und hören kann: Sex, Drugs, Rock’n’Roll sind auch bei ihm keine leeren Worthülsen. Man erlebt seinen Weg vom Wirtshausschrammler zu Krokus, zum Musikjournalismus, zurück zu Krokus, zu Gotthard und wieder zurück zur schreibenden Zunft. Interessant, schonungslos sich selbst gegenüber, aber auch zum Teil rücksichtslos seinen Wegbegleitern gegenüber. „Der Gilde der Diplomaten gehörte ich auch nie an“, schreibt er. Wie wahr! Allerdings schafft er es trotz der vielen Differenzen, die er mit Kollegen, Management und so weiter im Lauf der Jahrzehnte hatte, dass das Buch nicht in die Boshaftigkeit einer Abrechnung abgleitet. Dafür scheint Chris von Rohr zu reflektiert und durchaus auch selbstkritisch zu sein.

Und er kann über Begegnungen mit ganz großen Persönlichkeiten der Musikwelt berichten. Allen voran (für mich eines der bewegendsten Kapitel): Udo Jürgens. Auch die emotionalen Zeilen, die er Freunden und Kollegen widmet, die er auf seiner (Lebens-)Reise verloren hat, fand ich berührend und sehr wohlformuliert. Witzig finde ich, was er über Willy de Ville sagt: „Willy war ein glühender und leidenschaftlicher, wenn auch etwas selbstgefälliger Erzähler.“

Und ja, genau das ist Chris von Rohr auch. Selbstgefällig und häufig sehr egozentrisch. Drogen und Frauengeschichten – er hat praktisch nichts ausgelassen, seine Beziehungen hatten eher kurze Halbwertszeiten, denn für ihn steht praktisch nur er selbst im Mittelpunkt: „Ich bin treu … treu meinen Bedürfnissen“. Und „Mein Problem lag eher im Bereich der Nachhaltigkeit und der Nähe“.

Alles in allem ist es ein Buch für Freunde der von Musik und modernen (Auto)Biografien im Allgemeinen und von Krokus und Chris von Rohr im Speziellen. Ich muss sagen, dass das Buch handwerklich sehr gut ist, schreiben kann der Autor auf jeden Fall. Es liest sich flüssig und lebhaft und trotz der mehr als 700 Seiten hat es mich bestens unterhalten. Wegen der zum Teil inflationär gebrauchten Anglizismen, die zu seiner Alltagssprache gehören mögen, zu meiner aber nicht und wegen der zum Teil narzisstischen Selbstdarstellung (der Autor ist in weiten Teilen des Buchs der „Macher“, der „Checker“ und der, ohne den nichts läuft) – 4 Punkte.

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