Montag, 21. Dezember 2020

Glücksritter - Thomas Kleeberger

„Glücksritter. Recherche über meinen Vater“ ist der Titel von Thomas Kleebergers Roman und gleichzeitig ist dieser Titel Programm. Denn sein Vater, dem er sich nach dessen Tod anzunähern versucht, scheint sein Leben lang auf der Suche nach dem Glück zu sein („Glück ist etwas gewesen, dem mein Vater sein Leben lang hinterher gejagt hat“). Aber er war zwar ein Glücksritter, aber weniger ein Ritter ohne Furcht und Tadel, sondern eher einer von der traurigen Gestalt.

Wie so viele Familien ihrer Zeit, standen die Eltern von Thomas Kleeberger bei seiner Geburt 1959 mit einem Fuß noch im 2. Weltkrieg und mussten mit dem Erlebten klarkommen (die Tante entging knapp einer Vergewaltigung durch einen Soldaten, der Vater musste sich nach dem Ende der Kinderlangverschickung alleine nach Hause durchschlagen und die Mutter erinnert sich noch lebhaft an Nächte in Luftschutzkellern) und mit dem anderen Fuß standen sie im Wirtschaftswunder, versuchten, „zu etwas zu kommen“. Geld und Besitztümer, vor allem wohl Autos, waren in der Familie ein großes Thema.

Der Vater scheint aber ein „ewig zu kurz Gekommener“ gewesen zu sein, und dennoch schien er zu glauben, das Universum schulde ihm wenigstens ein Quäntchen („Und wenn ich es recht bedachte, hatte mein Vater immer Pech gehabt, wenn es um Geld gegangen war oder immer die falschen Entscheidungen getroffen. Was vielleicht erstaunlich war bei einem Menschen, der so sehr vom Geld besessen war wie er, und vielleicht dann auch wieder nicht.“) Enkeltrick, beziehungsweise in diesem Fall „Nigeria-Trick“, sind Dinge, die die meisten nur aus den Medien kennen. Thomas Kleebergers Eltern fielen im fortgeschrittenen Alter auf diesen Trick herein, als er es bemerkte, hatten sie schon Tausende Euro verloren, Geld, das sie sich unter anderem in der Verwandtschaft geliehen hatten. Kleebergers Buch ist eine Mischung aus Familiengeschichte, Lebensgeschichte des Vaters und auch ein zeitgeschichtliches Dokument ab der Zeit des 2. Weltkriegs. Aber insgesamt ist es natürlich auch eine Abrechnung mit den Eltern, vor allem dem Vater, einem, der sich nie etwas sagen ließ – und am Schluss beinahe alles verloren hätte.

Recherche über meinen Vater lässt eigentlich ein nüchternes, eher wissenschaftliches Werk erwarten. Das empfand ich aber nicht so. Zwar nähert er sich akribisch an seinen Vater an, aber er verliert nie die persönliche, die „Sohn-Komponente“. Vor allem muss er selbst recherchieren, denn nach dem Tod des Vaters schreitet die Demenz der Mutter rasant fort und sie kann ihm nicht mehr beim Graben in der Vergangenheit helfen. Es ist eine liebevolle aber fast kriminologisch aufklärerische Annäherung an den Vater, die zwiegespaltene Persönlichkeit. Einerseits der charmante Mann („Mein Vater sagte ›proper‹ oder ›rundlich‹, selbst seine Schwägerin, meine adipöse Tante, die bei 1,63 Körpergröße zuletzt weit über 100 Kilo wog, nannte er liebevoll ›moppelig‹.“), der auch die Demenz der Mutter lange mit „nicht mehr so fit im Kopf …“ umschrieb. Auf der anderen Seite war er wohl jähzornig und auch die Mutter legte den Sohn des Öfteren übers Knie und versohlte ihn mit dem Kochlöffel. Zudem war der Vater nicht in der Lage, auf seinen Sohn stolz zu sein. Der sollte ein „Herr Doktor“ werden, wurde er aber nicht. Und auch den Unterhaltungsroman, den der Vater gerne von ihm gelesen hätte, blieb er schuldig, obwohl der Vater überzeugt war „So was wollen die Leute lesen. Nicht nur immer Probleme. Damit hättest du Erfolg.“

Das Buch ist wohlformuliert und flüssig zu lesen, die Sprache ist alltagsnah und gefällig. Der Inhalt ist zum Teil schwere Kost, an der man eine Weile zu kauen hat. Für mich aber definitiv einer DER Familienromane des Jahres und eine ganz klare Lese-Empfehlung. „Mein Vater war also vor seinem Tod mit mir im Reinen, aber – das fragte ich mich, während wir in seiner letzten Wohnung beisammensaßen – war ich auch endlich mit ihm im Reinen?“ – es ist ihm auf jeden Fall von ganzem Herzen zu wünschen. Von mir 5 Sterne.

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