Montag, 19. April 2021

Das Grab in den Schären - Viveca Sten

„Das Grab in den Schären“ ist der zehnte Band der „Sandhamn-Reihe“ von Viveca Sten, der Serie um den Polizisten Thomas Andreasson und die Staatsanwältin Nora Linde. Ich habe die Serie sporadisch verfolgt, daher waren mir die Charaktere bekannt, aber ich denke, auch ohne Vorkenntnisse kann man das Buch problemlos verstehen.

Bei Bauarbeiten entdecken Arbeiter eine Leiche auf der unbewohnten Insel Telegrafholmen. In der Gegend sind vor etwa zehn Jahren fast zeitgleich zwei junge Frauen verschwunden und als die Untersuchungen ergeben, dass das Skelett weiblich ist, rücken sie in den Fokus der Ermittlungen. Parallel zum Haupt-Handlungsstrang erlebt man daher als Leser die (Vor)Geschichten der 17-jährigen Astrid und der 35jährigen Siri mit. Die Perspektivwechsel verleihen dem Buch das gewisse Etwas und eine besondere, eher unterschwellige Spannung, wobei auch der Leser bis kurz vor Schluss im Unklaren gelassen wird, wer das Skelett von Telegrafholmen ist.

Ich fand das Buch an sich nicht schlecht, aber ganz sicher auch nicht besonders gut. Staatsanwältin Nora Linde ist seit einem Fall aus einem der Vorgänger-Bände stark traumatisiert und deswegen krankgeschrieben. Ihre Angst versucht sie vor allem, mit übermäßigem Alkoholgenuss zu betäuben. Dabei wirft sie ihre Professionalität und Berufsethik komplett über Bord und mischt sich ungebeten in die Ermittlungen von Thomas Andreasson und seinem Partner Aram ein. Selbst für skandinavische Verhältnisse (dort haben Staatsanwälte zum Teil andere, weiterreichende Befugnisse als in Deutschland) geht sie dabei viel zu weit und mir mit ihrer ziemlich egozentrischen und teilweise extrem selbstherrlichen Art heftig auf die Nerven.

Abgesehen davon fand ich das Buch trotz der in der Hauptsache unblutigen Handlung spannend, gut geschrieben und flüssig zu lesen, wobei die Übersetzung für mich zum Teil holprig ist und ein paar handwerkliche Fehler aufweist. Die Charaktere sind gut gezeichnet, eventuell etwas weniger ausführlich als in den anderen Bänden, ich hatte das Gefühl, die Autorin setzt mehr oder weniger voraus, dass man die anderen Teile bereits kennt. Dann ist auch die Wandlung von Nora Linde, bedingt durch ein posttraumatisches Belastungssyndrom, deutlich zu erkennen, sie wurde von der engagierten Staatsanwältin, liebenden Ehefrau und Mutter zu jemandem, der trotz Krankschreibung in Ermittlungen eingreift („Ist dir nicht klar, dass du dich eines Dienstvergehens schuldig machst, wenn du dich auf diese Weise in eine Ermittlung einschaltest?“) und „Scheinvernehmungen“ durchführt, sich von ihrer Tochter zurückzieht und Menschen in ihrem Umfeld wegstößt und verletzt.

Ihr Verhalten ist psychologisch sehr interessant, wenn es auch manchmal für die Ermittlungen eher schädlich ist und für mich als Leser oft ein zwiespältiges Gefühl schuf: so wie Nora Linde zwischen Angst, Trauma und dem ständigen egozentrischen Gefühl, nur sie könne die Ermittlungen erfolgreich durchführen, hin- und hergerissen ist, schwankte ich zwischen „ich will sie trösten“ und „ich will sie packen und schütteln“. Denn im Endeffekt landet sie immer wieder bei einer Flasche Wein und bringt sich selbst und die Ermittler in schwierige Situationen. Mich haben die Alkoholexzesse von Nora Linde auf jeden Fall immer wieder aus dem Lesefluss gerissen und der Spannungsbogen brach für mich dadurch mehrfach komplett zusammen. Allerdings ist die Geschichte an sich gekonnt konstruiert, die Mischung aus verschiedenen möglichen Opfern und damit verbunden einigen möglichen Tätern fand ich sehr geschickt. Die Landschaft ist wie gewohnt bildhaft beschrieben und die Atmosphäre wechselt, wie in den anderen Teilen, zwischen „heile Welt“ und dem Drama, das sich abspielt(e). Dennoch bleibt dieses Buch meiner Meinung nach eher eines für Fans der Reihe. Daher vergebe ich drei Sterne.

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