Montag, 3. Mai 2021

Das Verschwinden der Erde - Julia Phillips

Ich erinnere mich an nur wenige Bücher, bei denen ich beim Lesen so oft drüber nachgedacht habe, sieungelesen beiseite zu legen. „Das Verschwinden der Erde“ von Julia Phillips war für mich allerdings so ein Buch. Aber von vorn. Denn vorne (also auf den ersten 30 bis 40 Seiten fand ich das Buchwirklich gut, spannend und packend. Und dann verschwand für mich nicht die Erde, sondern das Konzept des Werks, das vollmundig als „ausgeklügelter literarischer Thriller“ angekündigt worden war, und meine Motivation, weiterzulesen. Und die Geschichte an sich hatte großes Potenzial, das die Autorin leider in keinster Weise ausschöpft. Zwei Mädchen im Alter von acht und elf Jahren verschwinden an der Küste der sibirischen Insel Kamtschatka spurlos. Landesweit suchen Menschen nach ihnen – ohne Erfolg. Pikant: vor drei Jahren war eine 18-Jährige verschwunden, die einer indigenen Minderheit angehört, nach ihr wurde gar nichterst gesucht. So weit, so spannend und so politisch und ethisch interessant.

Aber dann verliert das Buch noch schneller an Fahrt und Spannung, als es diese überhaupt aufgebaut hatte. Das Buch ist für mich kein Roman und schon gleich gar kein Thriller. Es ist eine Anthologie, eine Aneinanderreihung von zwölf Kurzgeschichten, von denen jede mit einem Monat überschrieben ist. Sie sind einzig und alleine dadurch verbunden, dass alle Hauptcharaktere irgendwie mit dem Verschwinden der Mädchen verknüpft sind. Dieser rote Faden ist zwar stets präsent, aber er macht die Geschichten nicht zu einer Einheit, sondern für mich zu einem uneinheitlichen Flickenteppich mit Farben und Formen, die von einem dünnen roten Faden zusammengehalten werden und nicht wirklich zusammenpassen.

Wie in Kurzgeschichten üblich, bekommt man als Leser:in einen kurzen Einblick in die Leben der verschiedenen Frauen, und sobald man beginnt, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und sich für sie zu interessieren, ist das Kapitel vorbei und man betritt das nächste Leben, ohne jemals zu erfahren, wie die Geschichte der anderen Person ausgegangen ist. Bei einigen Kapiteln fand ich das durchaus schade, denn die Schicksale, denen man dort begegnet sind an sich zwar alltäglich, aber dennoch in der Gesamtheit der geballten Frustration bedrückend: keiner der Beschrieben Charaktere (überwiegend sind es Frauen) ist mit dem Leben auch nur annähernd glücklich.

Glücklich wurde ich mit dem Buch weder auf inhaltlicher, noch auf sprachlicher Ebene. Von einemliterarischen Thriller hatte ich mir auch sprachlich mehr erhofft als die alltägliche, völlig gewöhnliche Sprache. Alles in allem war es für mich ein in der Hauptsache quälend langweiliges und langatmiges Buch mit ein paar wenigen spannenden Passagen und ein paar wirklich guten Beschreibungen der rauen Landschaft mit Steppe und heißen Quellen und dem zum Teil harten Leben der Menschen dort. Diese atmosphärischen Beschreibungen und der Anstoß, den das Buch zum Nachdenken über Rassismus und Feminismus gibt, waren für mich der einzige positive Aspekt an dem sonst eher enttäuschenden Buch.

Alles in allem war es für mich nichts Ganzes und nichts Halbes, denn es ist in keinem Genre wirklich verankert. Die Autorin schafft weder einen Thriller, noch einen politischen oder einen Gesellschaftsroman. Irgendwie kam es mir vor, als habe sie sehr viel gewollt und sich auf dem Weg dahin verzettelt und verrannt. Mit jedem Kapitel wartete ich, dass endlich Spannung aufkommt – vergeblich. Daher von mir zwei Sterne.

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