Montag, 8. August 2022

Nachtschattenwald. Auf den Spuren des Mondwandlers - Karin Tordasi

„Geh niemals nach Sonnenuntergang in den Wald.“ – so lautet die wichtigste Regel für die Menschen in Karin Tordasis Buch „Nachtschattenwald. Auf den Spuren des Mondwandlers“. Den Kindern wird die Regel von klein auf eingetrichtert, denn „die Nacht gehört dem Wald. Sie gehört dem Mondwandler“. Und dieser holt sich diejenigen, die die Regeln brechen und versetzt sie in einen immerwährenden Schlaf. Finns 13jährige Schwester Hanna hat vor sechs Jahren die Regeln gebrochen, seither ist sie verschwunden. Damit beginnt eine Science-Fiction-Dystopie für junge Leser. Ich bin kein Teil der Zielgruppe, aber mein zehnjähriges Ich hätte mit dem Thema nicht wirklich umgehen können, weshalb ich das Buch eher für Jugendliche ab 13 Jahren empfehlen würde. Denn das, was die Autorin da in eine extrem spannende, wenn auch sehr düstere Abenteuergeschichte verpackt, ist keine leichte Kost.

In Finns Welt hat die Natur begonnen, sich alles zurückzuerobern, was die Menschen ihr im Lauf der Zeit abgerungen haben. Bestehende Häuser wuchern von unten nach oben zu und ohne Schutzhandschuhe kann man nicht mehr vor die Tür gehen. „Man musste jedoch darauf achten, dass alles Gleichgewicht blieb, damit die Natur nicht doch noch alles überwucherte“ – es gibt keine Infrastruktur mehr, Telefone und Internet funktionieren nicht mehr, dafür ist alles grün und die Menschen leben in einem riesigen Urwald. Das Gleichgewicht zu halten, sichert das Überleben. Finns Leben dreht sich seit dem Verschwinden seiner Schwester Hanna hauptsächlich um seine beste Freundin Samira, seine Eltern und seine Oma Vera. Bis eine marodierende Bande Jugendlicher, genannt „die Elstern“, nachts bei seiner Oma einbrechen. Und eines der Mädchen in der Gruppe trägt die schwarz-weiße Pandamütze von Finns Schwester. Obwohl es schon dunkel ist, macht sich Finn auf die Jagd nach dem Mädchen. Ehe er es sich versieht, befinden er und Samira sich in einem wilden Abenteuer und plötzlich ist der Nachtwandler nicht die einzige Gefahr im Urwald. Weitere Ausführungen zum Inhalt spare ich mir, da ich das Buch uneingeschränkt weiterempfehle – also: selber lesen! Es lohnt sich!

Einerseits ist Karin Tordasis Buch ein Abenteuerroman für Jungleser, wobei ich die Altersempfehlung von zehn Jahren etwas nach oben korrigieren würde. Tatsächlich steckt in dem Buch nämlich viel mehr, als auf den ersten Blick ersichtlich ist. Natürlich ist es eine wilde Jagd mit dem Ziel, den Mondwandler zur Strecke zu bringen und die Nachtschwärmer zu finden und zurückzuholen. Aber es ist auch ein dystopischer Roman über die Folgen der Umweltzerstörung und die Frage, was passieren könnte, wenn die Natur „zurückschlägt“. Dazu ist es ein Buch über Freundschaft, Vertrauen, Zusammenhalt und Verrat und über die Chancen und Gefahren von Technik und künstlicher Intelligenz. 

Die Autorin hat die Geschichte mit sehr viel Fantasie hervorragend erdacht und gekonnt und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt. Ihre Charaktere sind gut ausgearbeitet, auch da folgt sie der Maxime, dass das Gleichgewicht gehalten werden muss: die Geschichte ist zwischen Gut und Böse, Stärken und Schwächen großartig ausbalanciert. Auch die Atmosphäre und die Landschaft, die sie beschreibt, sind greifbar und plastisch. Auch ich möchte das Gleichgewicht halten, daher bei so viel positiven Aspekten auch ein Manko: die Geschichte hat ein paar Längen, die zugegebenermaßen zum Querlesen einladen. Außerdem hätte dem Text an ein paar Stellen ein sorgfältigeres Lektorat nicht geschadet. 

Aber alles in allem fand ich das Buch überwiegend atemberaubend spannend und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Der Schluss ist stimmig und schlüssig und er hat mich wirklich überrascht, so eine Auflösung hätte ich nicht erwartet. Für diesen Twist ziehe ich meinen Hut vor der Autorin und vergebe für das Buch fünf Sterne. 

 

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