Montag, 8. August 2022

Meter pro Sekunde - Stine Pilgaard

 Selten hat mich ein Buch so ratlos zurückgelassen wie Stine Pilgaards „Meter pro Sekunde“. Ich fand das Buch zwar schön und die darin verpackten Geschichten sowohl poetisch als auch nachdenklich machend – aber was mir die Autorin mit ihrem Werk sagen will, bleibt mir ein Rätsel. Das Buch kommt für mich über ein „ganz gut“ und „recht nett“ nicht hinaus.

Aber von vorn.

Jütland scheint das „Land der kurzen Sätze“ zu sein. Ich musste auf jeden Fall beim Lesen immer an den Satz über die Norddeutschen denken: „Moin moin ist schon Gesabbel“. Auf diese Form der Schweigsamkeit trifft die von Haus aus quirlige Protagonistin, als ihr Lebensgefährte einen Job an der Heimvolkshochschule von Velling bekommt. Mit dabei ist auch ihr eineinhalbjähriger Sohn, ebenfalls bis kurz vor Schluss namenlos und überwiegend sprachlos. Lichtblicke in ihrer Einöde aus schlaflosen Nächten und ihren Versuchen, mit Mitmenschen in Kontakt zu kommen, sind ihre Fahrstunden. Allerdings nur für sie, ihre Fahrlehrer (sie wird von einem zum nächsten weitergegeben) treibt sie zur Verzweiflung. „Einerseits sind Dauerschüler natürlich eine sichere Einnahmequelle, andererseits kann es auch ein bisschen mühsam werden“, sagt ihre (dritte?) Fahrlehrerin Mona. Vermutlich wird die Protagonistin nie einen Führerschein haben und das ist auch besser so.

Der große Lichtblick in ihrem Leben ist aber ihre Arbeit als „Kummerkastentante“ bei der örtlichen Zeitung und die Treffen mit dem Journalisten Anders Agger. Und so reihen sich mehr oder weniger zusammenhanglos Episoden aus ihrem Leben an Kummerkasten-Texte wie bei einem Flickenteppich. Ihre Antworten auf die Kummerkasten-Briefe sind zwischen philosophisch, banal und schlicht falsch anzusiedeln. Und letztendlich münzt sie auch jede Anfrage auf sich selbst um. „Hier soll es nicht um mich gehen“ – so fängt sie ihre Antworten gerne an und schreibt dann frei von der Leber weg aus ihrem Leben. Vielleicht mangelt es ihr auch an Lebenserfahrung, um wirklich fundierte Ratschläge geben zu können, zumal einige der Fragestellenden älter sind als sie. 

 Alles in allem fand ich das Buch sehr „dänisch“. Nicht falsch verstehen. Mein bester Freund ist Däne, ich kann fließend Dänisch lesen und schreiben. Aber es werden Dinge erzählt, für die es in Deutschland keine Entsprechungen gibt. Die Heimvolkshochschule, eine Art Weiterbildungsinternat für junge Erwachsene – gibt es in Deutschland nicht. Würde ich in meinem Dort etwas wie „fællessang“ („Gemeinschaftsgesang“) vorschlagen, würde ich mit Fackeln und Mistgabeln verjagt. In Dänemark ist das gemeinsame Singen der Lieder aus dem Højskolesangbog (Liederbuch für Heimvolkshochschulen) eine große Sache. Und nicht zuletzt Anders Agger – wer in Deutschland kennt den für seine bewegenden Reportagen bekannten Journalisten?

Ich denke also, es ist sehr schwierig, ein solches Buch für den ausländischen Markt „passend“ zu machen, allerdings ist die Übersetzung hervorragend. Die Charaktere im Buch sind alle sehr speziell. Die Einheimischen sind kauzig und wortkarg und werden entweder mit Namen genannt (Maj-Britt), nach ihrer Funktion („die Schulleiterin“) genannt oder bekommen Spitznamen („Parkplatzpeter“). Auch die Ich-Erzählerin ist namenlos, ihre Fahrlehrerin nennt sie allerdings immer Dolph, „nach diesem unverschämten mannsgroßen Stoffnilpferd aus dem Fernsehen“.

Stilistisch finde ich das Buch schwierig. Wie in „Dolphs“ Leben trifft Poesie auf Zurückhaltung. Die zusammenhanglosen Episoden mit den ebenfalls völlig alleinstehenden Kummerkasten-Fragen und Antworten machten für mich einen Lesefluss fast unmöglich, da mein Leser-Hirn immer nach einem roten Faden suchte. Kontinuierlich auftauchende Themen gibt es zwar mehrere (die Fahrstunden, die Suche nach einem Namen für den Sohn der Erzählerin, die Treffen mit Anders Agger) aber die sind teilweise mehr „running gag“ als roter Faden.  Insgesamt fand ich das Buch aber nur mäßig unterhaltsam. Schade, ich hätte es gerne gemocht. Von mir daher drei Sterne.


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