Mittwoch, 11. Januar 2023

Was wir verschweigen - Arttu Tuominen

 „Was wir verschweigen“ ist der erste Teil von Arttu Tuominens auf sechs Teile angelegte Delta-Reihe. Das Buch wurde 2020, meiner Meinung nach völlig zu Recht, als bester Kriminalroman Finnlands ausgezeichnet. „Kriminalroman“ steht auf dem Cover, aber es ist so viel mehr als ein reiner Krimi. Natürlich geht es um einen Mord, aber im Hintergrund beinhaltet das Buch noch eine psycho-soziale Komponente, die für mich die Mordermittlungen fast zur Nebensache gemacht hat. Die ethisch-moralischen Fragen „Wie weit würdest du gehen, um ein Leben zu retten. Was würdest du um einer alten Freundschaft Willen tun?“ sind ein elementarer Teil des Buchs und machten es für mich zu einem absoluten Pageturner. 

Aber von vorn. 

In einem Wochenendhaus im finnischen Küstenort Pori trifft sich eine Gruppe Menschen zu einem ausufernden Saufgelage. Am Ende ist einer der Teilnehmer tot. Erstochen mit mindestens sechs Messerstichen in Rücken und Hals. Nach unbefriedigenden Befragungen möglicher Augenzeugen (sie können sich nicht erinnern, sind verkatert und unkooperativ, sogar beleidigend), finden die Ermittler mit Antti Mielonen einen Verdächtigen mit blutiger Kleidung im Wald. Der vorübergehende Leiter der Mordkommission Kommissar Jari Paloviita übernimmt die Ermittlungen eher widerwillig. Er ist in seiner neuen Position nicht glücklich und noch dazu kriselt es in seiner Ehe. Als er dann noch feststellt, dass der einzige Verdächtige im Fall sein bester Freund aus der Schulzeit ist, sieht er sich in einem Dilemma: wie weit darf seine Loyalität gehen, schließlich hat er Antti vor gut 30 Jahren ewige Freundschaft geschworen. Und schließlich ist auch das Opfer Rami Nieminen für ihn kein Unbekannter. 

Da Finnisch wirklich nicht meine Sprache ist, tue ich mich zugegebenermaßen mit den Namen im Roman ein bisschen schwer. Generell brauche ich bei finnischen Büchern etwas länger, um mich „einzulesen“, auch wenn die Übersetzung sehr gut ist. Dennoch kann ich bei „Was wir verschweigen“ nur sagen, dass mich das Buch schlichtweg gefesselt hat. Die Spannung baut sich kontinuierlich auf und wird nur durch die Ausflüge ins Privatleben der Ermittler unterbrochen. Wobei die schwierige Ehe von Jari Paloviita und das exzessive Sportprogramm von Hendrik Oksman zu keiner Zeit Langeweile aufkommen lassen, eher willkommene „Verschnaufpausen“ sind. Die Charaktere Jari Paloviita, Linda Toivinen und Hendrik Oksman fand ich gut ausgearbeitet und die Geschichte hervorragend konzipiert. Die beiden Zeitebenen, auf denen der Autor sie erzählt, sind klar voneinander abgegrenzt, man weiß als Leser:in immer, wo man sich befindet. 

Was mich neben dem angenehm ruhigen, fast sachlichen Schreibstil des Autors aber wirklich beeindruckt hat, ist die Tiefe, mit der er die ethischen Fragen von Schuld, Freundschaft und Loyalität behandelt. Die Zwickmühle, in der sich Jari Paloviita befindet, war für mich fast körperlich fühlbar. Seine Zerriebenheit zwischen Pflichterfüllung seinem Arbeitgeber gegenüber und Verbundenheit mit dem Freund aus Kindertagen brachte mich immer wieder zum Nachdenken und zur Frage „Was hätte ich an seiner Stelle gemacht“. Dazu kommen noch weitere Aspekte, die dem Buch noch mehr Facetten verleihen, wie beispielsweise die unterschiedlichen soziale Schichten, aus denen Protagonisten kommen. Jari kommt aus einer Akademikerfamilie und lebt auch jetzt in vermeintlichem Wohlstand. Antti hingegen kommt aus einem gewalttätigen Elternhaus mit einem sehr aggressiven Vater und wurde als Jugendlicher aus der Familie genommen, womit auch die Freundschaft zu Jari endete.

Trotz der Vielzahl der Themen schafft Arttu Tuominen es, das Buch zu einem stimmigen Ganzen zu verarbeiten, einem Buch, das Lust auf mehr macht. Von mir ganz klare fünf Sterne und eine Lese-Empfehlung für alle, die Krimis mit einem gewissen Extra mögen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.