Montag, 31. März 2025

Rilke. Dichter der Angst - Manfred Koch

 Rainer Maria Rilkes Geburtstag jährt sich im Dezember 2025 zum 150. Mal. Der Germanist Manfred Koch hat mit „Rilke. Dichter der Angst“ eine neue Biografie des Künstlers veröffentlicht, der als einer der größten Dichter des 20. Jahrhunderts gilt. Meine eigenen Kontakte mit Rilkes Werken sind mehr oder weniger auf „Der Panther“ beschränkt, daher hat das Buch mich ihm nähergebracht. Manfred Koch ist in seiner Biografie ein Lebensporträt Rilkes gelungen, dessen literaturgeschichtlicher Gehalt überwältigend ist. Es ist keine schlichte Aneinanderreihung der Stationen in Rilkes Leben, sondern eine Einordnung der Werke des Dichters in dasselbe, durch akribische Auseinandersetzung und Interpretation. Er beleuchtet sowohl das „Werk im Leben“ als auch das „Leben im Werk““. Ich bin kein Fachmensch für Literatur, dennoch habe ich das Buch mit Begeisterung gelesen. Kochs zahlreiche Interpretationen sind meiner Meinung nach auch für Laien interessant, können einen beim Lesen aber auch ein bisschen „erschlagen“. Ich gestehe, mich hat der Mensch Rainer Maria Rilke auch ein bisschen mehr interessiert.

Aber von vorn.

Rilkes Leben war wohl von Anfang an nicht einfach. Als Zweitgeborener musste er der Mutter die Tochter ersetzen, die 1873 nach nur einer Woche verstorben war, was Rilke zur Aussage „Meine Seele trägt ein Mädchenkleid“ bewog und ihn zu einem geschlechtlich fluiden Menschen machte. Geboren am 4. Dezember 1825 in Prag, wurde er auf die Namen René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke getauft, René heißt „der Wiedergeborene“. Der Vater plante eine Karriere beim Militär, wurde aber Bahnbeamter. Die Mutter stammte aus einer Fabrikantenfamilie und war von der Ehe enttäuscht, sie hätte sich ein vornehmeres Leben erhofft. Und auch der Sohn fühlte sich zu Höherem auserkoren. So änderte er nicht nur seinen Namen zu Rainer Maria Cäsar Rilke, er änderte gleich seine ganze Herkunft von „Sohn eines Bahnbeamten“ zu „entstammt einem uralten Kärntner Adelsgeschlecht“. Da wurden seine schlechte Gesundheit, seine immer wieder unterbrochene Schullaufbahn zur Nebensache. Gedichtet hat er schon zu Schulzeiten, woraufhin sein Onkel Jaroslav, der ihn gern als Nachfolger in seiner Anwaltskanzlei gesehen hätte, ihn als „poetisches Muttersöhnchen“ sah. 

Tatsächlich spielte die Mutter in seinem Leben wie in seinem Werk eine wichtige, wiederkehrende Rolle (ob sie ihn wirklich missbraucht hat, ist nicht abschließend geklärt). Ebenso, wie die Angst. Auf 475 Seiten (plus fast 100 Seiten Anhang) beschäftigt sich der Literaturexperte Manfred Koch mit Rilke und seinem Werk. Fakt ist, dass der Dichter wohl ein in sich äußerst widersprüchlicher Mensch war. Er wollte, dass seine Werke bekannt werden – aber nicht er selbst. („Er wollte ein Namenloser, ein Niemand «hinter meinen Liedern» bleiben.“) Über weite Teile seines Lebens war er sich selbst genug, schätzte das Alleinsein sehr. Aber er schätzte auch die Gesellschaft von (meist jüngeren) Frauen, Künstlern und natürlich schätzte er die finanziellen Zuwendungen, die ihm Freunde und Verwandte zuteilwerden ließen, schlicht: er war immer wieder auf der Suche nach Musen und Mäzenen. Er wollte sich ganz auf seine Kunst konzentrieren können und Nebensächlichkeiten wie Broterwerb oder Familienleben sollten ihn dabei nicht stören. Der „geschlechtlich fluide“ Dichter hatte wohl auch einen Schlag beim weiblichen Geschlecht. Das Muster war oft dasselbe: er lernte eine Frau kennen, schrieb ihr. Sie schrieb zurück. Auf die zarte Annäherung folgten vorsichtige Liebesschwüre bis hin zu überbordender Leidenschaft mit zahllosen schwülstigen Liebesbriefen, bis die Damen sich gestresst abwandten („Nach beinahe einem Jahr engsten Zusammenseins musste Lou Salomé ihren ersten längeren Urlaub von Rainer nehmen.“) 

Spricht man von Rilke, kommt man um „es ist kompliziert“ nicht herum. Die Lektüre von „Rilke. Dichter der Angst“ war für mich trotz der Komplexität eine Wonne, selbst seine umfangreiche Korrespondenz ist Literatur. Von mir volle Punktzahl.  


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