„Die Geschichte der Menstruation ist eine Geschichte voller Missverständnisse“ – meine Generation wuchs mit diesem Satz aus der Tampon-Werbung auf. Aber, wie das Buch „Die kranke Frau“ von Elinor Cleghorn zeigt, war nicht nur der weibliche Zyklus, sondern der ganze weibliche Körper lange ein Rätsel für die männerdominierte Medizin. War? Kann man dem Buch mit dem Untertitel „Wie Sexismus, Mythen und Fehldiagnosen die Medizin bis heute beeinflussen“ glauben, ist die Frau in der Medizin immer noch unterrepräsentiert. Das mag in vielen Bereichen stimmen, der Maßstab vieler medizinischer Studien ist auch heute noch ein 75kg schwerer Mann. Aber so schwarz-weiß und frauenfeindlich, wie die Autorin es darstellt, ist das ganze Thema vermutlich auch nicht. Die Empörung, die sie an den Tag legt, war so unverblümt, dass sie die vielen interessanten Fakten und den Lesegenuss für mich störte. Statt eines aufrüttelnden Buchs schuf sie für mich eher ein Ärgernis. Schade.
Aber von vorn.
Lange Zeit war die Medizin ausschließlich männlich. Seit der Antike standen Männer im Mittelpunkt, Frauen waren eher „unbekannte Wesen“. Das änderte sich auch in der Neuzeit nicht. Frauen durften nicht körperlich untersucht werden, selbst ihre Obduktion war lange verboten. Bis ins späte 19. Jahrhundert durften Frauen nicht studieren, somit gab es also keine Ärztinnen, Aberglaube war überall präsent. Krankheiten wurden bei Frauen sehr lange (zum Teil auch heute noch) auf psychische Probleme (Stichwort: Hysterie) oder „wahrscheinlich sind es einfach die Hormone.“ reduziert. Wenigstens glauben moderne Mediziner nicht mehr an die „wandernde“ oder „erstickende“ Gebärmutter oder dass Frauen (vor allem während der Menstruation) andere Menschen verhexen könnten. Da spielte die ausschließlich männliche Medizin der (ebenfalls ausschließlich männlichen) Hexenverfolgung hervorragend in die Hände. Allerdings ist manchen Medizinern bis heute nicht bewusst, dass manche Krankheiten bei Männern und Frauen unterschiedliche Symptome aufweisen. Da haben sicher viele noch einiges zu lernen.
Für mich scheint sich die Autorin manchmal in ihrem Feldzug zu verrennen, einiges von dem, was sie sagt, ist nicht ganz korrekt. Weder ihre Aussagen zum Hippokratischen Eid noch die zu Gicht („Gicht ist eine dieser altmodischen Krankheiten, die durch zu viel Käse und Alkohol entstehen“) stimmen und auch in anderen Bereichen scheint ihr der Effekt wichtiger zu sein als die faktische Belegbarkeit. Ihre Schreibe ist emotional, das Buch flüssig zu lesen. Sie kämpft für die Sichtbarkeit der Frauen in der Medizin und das ehrt sie. Ihre eigene Betroffenheit und die Arzt-Odyssee, die sie auf dem Weg zu ihrer Lupus-Diagnose (Lupus erythematodes ist eine seltene Autoimmunkrankheit) durchmachen musste, spiegelt sich aber in jedem Abschnitt des Buchs, das dadurch für mich nichts Halbes und nichts Ganzes wurde. Es ist kein medizinhistorisches Werk, keine Autobiografie und kein Fachbuch. Es ist eine Mischung aus allem und verliert durch die fehlende Konstanz für mich eine Menge Kraft, die im Thema gesteckt hätte.
Ja, das Buch macht die Leserschaft stellenweise fassungslos und vielleicht hat man beim nächsten Arztbesuch (vor allem als Frau) ein unguteres Gefühl als sonst, aus Angst, man könnte eventuell nicht ernstgenommen werden. Und vor allem heute kämpfen viele mit LongCovid-Symptomatik gegen die sprichwörtlichen Windmühlen, allerdings sowohl weiblich als auch männlich gelesene Menschen. Aber das „nicht Ernstgenommen werden“ – und das weiß ich aus erster Hand – trifft nicht nur Frauen. Es trifft ebenso Homosexuelle, trans Menschen, Menschen südländischer Herkunft (Stichwort: Morbus mediterraneus) und alles in allem liegt es nicht an DER Medizin (dem „medizinischen Establishment“) oder an DEN männlichen Ärzten, sondern am jeweiligen Charakter. Da ist in der medizinischen Ausbildung noch einiges zu tun, das Buch hätte ein guter Wegweiser sein können, ist es für mich aber nicht geworden. Von mir daher drei Sterne.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.