Montag, 28. Oktober 2024

Kleine Monster - Jessica Lind

„Es ist kompliziert“, ist mein Fazit zu „Kleine Monster“ von Jessica Lind. Zwar passt das Buch nicht so hundertprozentig zum Klappentext, aber mich hat es gepackt und berührt. Toxische, dysfunktionale Familien mit dunklen Geheimnissen – da fühle ich mich doch gleich zu Hause und abgeholt. Für mich war es ein Buch, das noch lange nachhallen wird.

Aber von vorn.

Pia und Jakob werden zum Elterngespräch in die Schule gebeten. Ihr siebenjähriger Sohn Luca soll eine Klassenkameradin belästigt haben. Luca selbst äußert sich nicht zu dem Vorfall. Pia ist zuerst überzeugt, dass das Mädchen den Vorfall erfunden hat. Dann schwindet ihre Überzeugung. Sie beginnt, ihren Sohn mit anderen Augen zu sehen und wird im gegenüber zunehmend misstrauischer. Schnell gibt es Gerede, Pia und Jakob werden aus der Eltern-WhatsApp-Gruppe entfernt. Und Luca schweigt. Pia fühlt sich in ihre Kindheit zurückversetzt. Damals passierte ein Unglück, das ihre Familie bis heute prägt. Auch da wurde geschwiegen. Bis heute. Pia gerät in einen Strudel aus Gefühlen und Gedanken, der sich immer schneller zu drehen scheint. Im Mittelpunkt steht aber nicht Luca, sondern sie selbst, die Vorfälle in ihrer Vergangenheit und den Umgang ihrer Familie damit. 

Wie gesagt, laut Klappentext dreht sich das Buch um einen „Vorfall“ zwischen Luca und einer Klassenkameradin. Das Ereignis gerät nach kurzer Zeit komplett aus dem Focus und Pia rückt in den Mittelpunkt. SIE kann plötzlich ihrem Sohn nicht mehr trauen, SIE sieht ihn mit anderen Augen. Aus der Familienangelegenheit wird schnell ein Psychogramm und eine one-woman-Show mit sehr viel Trauma, Erinnerungen und innerem Monolog. Und immer wieder geistern dazwischen Phantome namens Linda und Pia, deren Bedeutung man sich lange selbst erklären muss. 

Das gibt der Leserschaft aber auch sehr viel Raum für ein eigenes Gedankenkarussell, zumindest war das bei mir so. Wie Pia und Luca wuchs ich in einer scheinbar glücklichen Familie auf, bei der man nicht unter die Teppiche schauen sollte, weil so viel darunter gekehrt wurde. Die Familie voller Schweigen und unausgesprochenen Vorwürfen kommt mir bekannt vor, dazu unkontrollierte Gefühlsausbrüche der Mutter, die ihrem Kind misstraut und immer das Schlechteste von ihm annimmt. Die Autorin verarbeitet hervorragend Pias verlorengegangener Mutterinstinkt und ihre Probleme mit der Tatsache, dass Luca und sie sich entfremden, er ihr sogar nicht mehr ähnlichsieht. Aus ihrer Sprache springt einem die entstehende Distanz aller Charaktere zueinander praktisch ins Gesicht, sie ist schlicht, modern und, ja, distanziert.

Distanziert blieb ich auch zu allen Charakteren. Ich konnte zu niemandem Nähe oder Sympathie aufbauen, allerhöchstens ein Funke Verständnis kam ab und zu durch. Aber als Stilmittel fand ich dieses Abstandhalten angemessen. Die Stimmung ist bedrückend, ich habe das Buch zwar in einem Rutsch durchgelesen, das ungute Gefühl im Magen hat mich aber nie verlassen. Der Zwiespalt, in dem sich Pia befindet und der Druck, ihre glückliche Familie nach außen darzustellen, ist in jeder Zeile spürbar, ihre Fassade bröckelt nur ab und zu, dann aber gewaltig. Mit der Tatsache, dass Pia ihrer Schwester Romi auf Instagram folgt, zeigt eines der großen Themen unserer Zeit: jeder, der auf Sozialen Medien einen Account bespielt, wird zur öffentlichen Person. Ihr zu folgen, oder sie zu verfolgen, ist leicht. Aber auch das Gegenteil ist möglich, geächtet und ignoriert wird nicht nur im realen Leben, sondern auch virtuell. 

Der Schluss passt zum Buch, ob er befriedigend ist oder nicht, sei dahingestellt. Mit der Tatsache, dass eigentlich weder etwas gelöst noch geklärt wird, kann ich gut leben, es kommt mir aus der eigenen Historie bekannt vor. Und eines ist klar: Kinder sind auch nur Menschen, Eltern aber auch, mit allen Fehlern und Problemen. Für mich hat das Buch so wie es ist hervorragend funktioniert, aber ich bin nicht das Maß der Dinge. Daher spreche ich keine Empfehlung aus, vergebe aber fünf Sterne.


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