Wie so viele bin ich mit Astrid Lindgrens Büchern aufgewachsen. Kjell Bohlunds Buch „Die unbekannte Astrid Lindgren. Ihre Zeit als Verlegerin“ zeigte mir eine völlig andere, aber mindestens ebenso beeindruckende Seite der weltbekannten Autorin. Kjell Bohlund beleuchtet anschaulich, worin der Unterschied zwischen Astrid Lindgren als Verlagsmitarbeiterin und als Person des öffentlichen Lebens bestand. Für mich war das Buch interessant, informativ und unterhaltsam, denn der Verfasser ist ein Kenner Astrid Lindgrens. Er war selbst Verleger bei Rabén & Sjörgen, dem Stockholmer Verlag, in dem sie arbeitete und der auch ihre Bücher verlegte. Außerdem war er Vorsitzender der Astrid-Lindgren-Gesellschaft. Obwohl es sich mehr auf Fakten abseits der bekannten Werke konzentriert, fand ich es keineswegs trocken, sondern durchaus lesenswert.
Aber von vorn.
Die wenigsten kennen wohl den Werdegang Astrid Lindgrens. Während des Krieges war sie für die Postüberwachung des schwedischen Geheimdienstes tätig, nach Kriegsende musste sie sich neu orientieren. 1944 nahm sie einem Schreibwettbewerb des Verlags Rabén & Sjörgen teil. Der Verlag bestand erst seit 1942 und stand kurz vor dem Bankrott. Astrid Lindgren gewann den zweiten Platz bei dem Wettbewerb. Ihr Debüt bekam gute Kritiken, verkaufte sich aber nur mäßig. Beim Wettbewerb im Jahr darauf reichte sie „Pippi Langstrumpf“ ein, das zuvor von einem anderen Verlag abgelehnt worden war. Mit diesem Manuskript gewann sie, einen Monat vor Heiligabend 1945 erschien das Buch und wurde zu Astrid Lindgrens erstem Bestseller. Trotz ihres Erfolgs nahm sie einen Job als Bürokraft im Verlag an, denn statt ausschließlich als freie Autorin zu arbeiten, bevorzugte sie „eine Stelle mit festem Gehalt und einen Arbeitsplatz, den sie täglich aufsuchen konnte.“ So schrieb sie morgens an ihren Büchern und mittags arbeitete sie im Verlag. Dieser entging dem Konkurs, Astrid Lindgren feierte Erfolge – der Rest ist Geschichte.
24 Jahre lang war sie nicht nur das literarische Zugpferd des Verlags, sondern auch die erste auf Kinderliteratur spezialisierte Lektorin und später eine der erfolgreichsten Verlegerinnen der schwedischen Buchbranche. Innerhalb von fünf Jahren wurde aus Rabén & Sjörgen vom Konkurs-Kandidaten Skandinaviens führender Kinderbuchverlag mit solidem wirtschaftlichem Fundament und hohem Ansehen. Astrid Lindgren bewies ein Näschen für erfolgreiche Bücher. Neben ihren eigenen Werken kümmerte sie sich nachmittags im Verlag um die Werke zahlreicher anderer Autoren (obwohl sie kein Freund der Bücher Enid Blytons war, ließ sie sie von ihrer Schwester aus dem Englischen ins Schwedische übersetzen und sorgte für die Veröffentlichung). Ihre Zusammenarbeit mit Illustratoren und Illustratorinnen und Autoren und Autorinnen beschreibt Bohlund anschaulich. Sie war eine taffe Geschäftsfrau, eine behutsame Lektorin und eine konstruktive Kritikerin. Oft hat sie sich wohl für ihre geübte Kritik sogar entschuldigt, was psychologisch ein kluger Zug ist.
Die deutsche Übersetzung des Buchs ist zwei Kapitel länger als die schon 2018 in Schweden erschienene Version. Der Autor schreibt sehr ausführlich über die Beziehung der Autorin zu Deutschland und die erfolgreiche geschäftliche Zusammenarbeit mit dem Verlag Friedrich Oetinger, in dem auch heute noch ihre Bücher veröffentlicht werden. Auch über diesen Verlag erfährt man einiges, ebenso die Freundschaft zwischen Lindgren und den Oetingers.
Ob „Die unbekannte Astrid Lindgren“ als Kinderbuch wirklich richtig platziert ist, wage ich zu bezweifeln. Ich bin ja ein sehr „fortgeschrittenes“ Kind, mir hat es gefallen. Der Autor gibt sich Mühe, anschaulich und lebendig zu schreiben, dazu gibt es Bilder und Auszüge aus Briefen von Astrid Lindgren an ihre Eltern. Als Jugendlicher hätte das Buch mich vermutlich eher gelangweilt. Mir hat es aber die Autorin als eine Art „Superfrau“ und „role model“ nähergebracht, daher von mir fünf Sterne.
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