Montag, 27. August 2018

Weder geschüttelt noch gerührt - Timm Kruse

Weder geschüttelt noch gerührt: Mein Jahr ohne Alkohol – Ein Selbstversuch, so lautet der komplette Titel des Buchs von Timm Kruse, das mir der Verlag dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt hat.

Wer drüber nachdenkt, ob er ein Alkoholproblem hat, hat auf jeden Fall latent die Befürchtung, es könnte so sein und sucht hauptsächlich nach Gegen-Beweisen und nicht nach der Bestätigung, tatsächlich ein Problem zu haben. Und so ist es anfangs auch ein Spaß, als der Autor Timm Kruse in einer Zeitschrift einen Test zum Thema „Alkoholkonsum“ macht. Obwohl er sich bewusst ist, dass er regelmäßig trinkt bis zum Filmriss, überrascht ihn das Ergebnis: Ja, Sie haben ein Problem damit, Ihren Alkoholkonsum zu kontrollieren.
Und Kruse beschließt, im Selbstversuch zu ergründen, wie das so ist, ein Leben im völlig nüchternen Zustand.
Er nimmt den Leser mit auf eine Reise durch ein Jahr Abstinenz. Beschreibt die Höhen und Tiefen, die Triumphe und Rückfälle und das Leben in einer Gesellschaft, die Alkoholismus eher toleriert als Abstinenz. Selbst in seiner eigenen Familie stößt er auf Ablehnung und Unverständnis und auch im Freundes- und Kollegenkreis trifft er immer wieder auf bekannte Sprüche wie „Einmal ist keinmal“, „heute kannst du doch…“ oder „Mit dir macht es gar keinen Spaß mehr“.
Das Buch ist gut geschrieben, liest sich sehr flüssig und enthält eine große Portion Humor und sehr viel Selbstironie, Selbstreflexion und Selbstkritik. Timm Kruse schont sich nicht, er beschreibt seine Erfolge genauso wie die Misserfolge (in Form von Rückfällen). Am Ende jedes Kapitels steht ein Fazit, was das Buch sehr schön abrundet. Auch erwähnte Statistiken und Ergebnisse von journalistischer Recherche, die er gekonnt in den Erzählfluss einbindet, machen das Buch sehr gut zu lesen.
Allerdings ist das Buch ein reiner Erfahrungsbericht und taug sehr begrenzt zur Selbsthilfe. Vielleicht, wenn ein Betroffener etwas sucht, in dem er sich selbst wieder erkennen kann, um zu sehen, dass es auch anderen so geht, wie ihm selbst. Aber wirkliche Hilfestellung bietet das Buch nicht, den Anspruch hat der Autor aber auch gar nicht. Er zeichnet ein verstörendes Bild einer Gesellschaft, in der Abstinenzler Spaßbremsen sind und nur der, der auch mittrinkt dazugehört. Und genau die Gesellschaft erlebe ich als Abstinenzler auch. Und das schon seit fast 30 Jahren. Kollegen lachen einen aus, die Familie reagiert mit Unverständnis und man muss mit einem kleinen aber erlesenen Freundeskreis zufrieden sein. Leser, die mehr Glück haben als der Autor und ich, können vermutlich vieles nicht nachvollziehen und werden oft den Kopf schütteln. Und die werden vermutlich die vier Sterne, die ich für das Buch vergebe auch nicht verstehen können.

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