Mittwoch, 17. Oktober 2018

Der dunkle Schatten des Waldes - Bert Dillert

30 Minuten bei Eiseskälte durch den Ort laufen oder 45 Minuten auf den Bus warten oder vielleicht doch nach Hause trampen? Diese Frage stellt sich am Neujahrstag vor sechs Jahren der 16-jährigen Sina. Eigentlich sollte ihr Freund Lukas sie ja nach Hause fahren, aber nach einem Streit verlässt sie dessen Wohnung und wird danach nie wieder gesehen. Sechs Jahre akribische Ermittlungsarbeit und drei Aufrufe in „Aktenzeichen XY ungelöst“ bringen nichts. Sinas Familie zerbricht an ihrem Verschwinden, die Eltern lassen sich scheiden, der Vater verfällt dem Alkohol. Und dann, sechs Jahre später, bekommt ihre jüngere Schwester Hanna einen Anruf: „Deine Schwester, Auto aus Frankfurt, schwarzes Auto“.
Damit fängt die ganze Geschichte praktisch von vorne an. Der ehemalige Ermittler Darold (inzwischen zwangsweise in Pension) verbeißt sich wieder in Ermittlungen, eckt bei allen an: bei seinem Nachfolger, bei den Menschen, die er befragt und verfolgt und nicht zuletzt bewegt er sich am Rande der Legalität, denn er hat keinerlei Befugnisse mehr. An seiner Seite Hanna, die immer noch unter dem Verlust ihrer Schwester leidet und die ihn als einzige unterstützt und unermüdlich daran glaubt, dass er den Fall noch aufklären kann.
Das Buch an sich besteht aus mehreren parallel verlaufenden Handlungssträngen: die Ermittlungen von Darold, Hanna und der Rest der Familie und der der anonymen Anruferin, die auch ihre eigene Geschichte hat. Die Geschichte spielt hauptsächlich in Blaubach, einem fiktiven Ort im Schwarzwald-Baar-Kreis, unweit von Donaueschingen und Villingen-Schwenningen. Eine Kleinstadt-Idylle? Offensichtlich nicht. Selbst im kleinstädtischen Schwarzwald ist die Welt nicht mehr in Ordnung.
Der Schreibstil von Bert Dillert ist nüchtern und sachlich, alles wird treffend und prägnant, fast schon mit journalistischer Genauigkeit beschrieben. Die Charaktere sind klar und realistisch beschrieben, nur manchmal ein bisschen zu plakativ sympathisch oder unsympathisch (wie beispielsweise Sinas ehemaliger Lehrer oder der reiche Unternehmer Dosenbach und seine Familie).
Das Buch ist rasant geschrieben, lässt sich gut und flüssig lesen, allerdings fand ich es an manchem Stellen etwas langatmig, weil sich viele Fragen, die der „Ermittler“ Darold sich und den andren stellt und mit denen sich der Leser ebenfalls quält, immer und immer wiederholen.
Aber dennoch: spannend bis zum (überraschenden) Schluss, viel Einblick in die Psyche derjenigen, die zurückgeblieben sind und deren Veränderung über den Verlust (Vater beginnt zu trinken, wird arbeitslos, Ehe wird geschieden, Bruder verlässt früh das Haus). Eine klare Lese-Empfehlung.

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