Die Autorin und Fotografin Franziska Hauser hat das
vorliegende Buch an ihre eigene Geschichte und die ihrer Familie angelehnt. Sie
selbst wurde 1975 in Ost-Berlin geboren
und erlebte die DDR hautnah mit. Ihre Hauptdarstellerin und Ich-Erzählerin
Tamara wird 1951 geboren (gehört also zu ihrer Eltern-Generation), der
Ausgangspunkt der Geschichte ist das Jahr 2011, als ihre Mutter Adele
überraschend stirbt und sie deren Haus erbt.
Indem sie das Haus auf- und ausräumt, mit dem
Vorschlaghammer darin wütet und viele Erinnerungsstücke schlicht auf dem Rasen verbrennt,
stellt sich Tamara den Dämonen ihrer Vergangenheit, ihrer eigenen Geschichte
und der Geschichte ihrer Familie und setzt sich damit auseinander. Durch die
Konfrontation mit Erinnerungsstücken taucht sie in die Vergangenheit ein und
nimmt den Leser auf die (leider oft chaotische) Reise mit.
Die ersten paar Kapitel las ich das Buch mit großer
Begeisterung. Es ist wie das Blättern in einem Familienalbum mit wahllos
aneinandergereihten Bildern aus vier Generationen. Man lernt Tamara kennen
(eine 1951 geborene Puppenspielerin), ihre soeben verstorbene Mutter Adele und
nach und nach, praktisch im Rückwärtsgang (der Ausgangspunkt der Geschichte ist
Adeles Tod 2011) den Rest der Familie kennen: Tamaras Schwester Dascha, Tamaras
Töchter Henriette und Maja, die aber eher kleinere Nebenrollen spielen, Tamaras
Eltern Alfred und Adele (überzeugter Kommunist und gefeierter
DDR-Schriftsteller und protestantische Pfarrerstochter), Alfreds Eltern
Friedrich und Ilse und ihren Onkel Erwin nebst Frau.
Die Familiensaga zieht sich in (für den Leser willkürlichen)
Zeitsprüngen erzählt quer durch das Jahrhundert, vom Ende des 19. Jahrhunderts über
zwei Weltkriege, den Aufbau und das Ende der DDR bis zum Jahr 2011. Die Familie
Hirsch lässt nichts aus: aus dem tiefsten Schwarzwald durch die Wirrungen der
Kriege nach England und Frankreich verschlagen, landen sie nach Kriegsende
freiwillig und aus vollster Überzeugung in der DDR.
Krieg, Verfolgung, Emigration, Widerstand, Rückkehr und dann
das „Eingesperrt-Sein“ in der DDR, das vor allem die rebellische Tamara
belastet – alles wird in der Familie erlebt. Dabei ist die Familie priviligiert, Alfred und Adele reisen oft
und viel im Auftrag der Partei.
Und insgesamt schildert das Buch sehr extreme Kontraste, die
aufeinander treffen. Überzeugter Kommunist trifft auf protestantische
Pfarrerstochter (sie lässt sogar das gemeinsame Kind heimlich taufen),
Emanzipation trifft auf Patriarchat, Intellektueller auf eher einfache Frau (die er aber nach seinen Wünschen zu formen versucht) – und die Leidtragenden sind die Kinder.
Dascha ist schon in jungen Jahren tabletten- und alkoholabhängig und Tamara
entwickelt sich zu einer extrem rebellischen und promisken jungen Frau. Sie
eckt in der Schule an, später tut sie sich schwer, einen Beruf zu finden. Daher auch der Titel des Buchs - sie liebt die Gefahr und schwimmt bei Gewitter in offenen Gewässern.
Und irgendwann habe ich dann zwischen Tamaras zahllosen
Affären den Faden und den Spaß an dem Buch verloren. Nach und nach erfährt der
Leser den Grund für Tamaras promiskes Verhalten: sie und auch Dascha wurden vom
Vater als auch von der Mutter und dem befreundeten Arzt „Onkel Anton“ sexuell
missbraucht. Übergriffigkeiten sind Alltag, Recht auf freie Bestimmung
existiert nicht, Tamara nimmt sich dieses Recht später, indem sie ihre
Sexualität exzessiv mit wechselnden Partnern auslebt (wohgemerkt: die
Sexualität). Wirkliche Liebe findet sich in dem Roman kaum. Vor allem nicht bei
den Eltern von Tamara und Dascha – sie lieben einander nicht wirklich und die
Mutter verhält sich den Töchtern gegenüber kalt und abweisend. Kein Wunder,
auch sie hat früh Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt machen müssen.
Und so zieht sich eine Spur von Gewalt (im Krieg und in den
Beziehungen) durch den Roman, der Leser wird auf die Reise durch die Jahre, die
Ehen und die Geschichte (Familie Hirsch umgibt sich mit bekannten
Persönlichkeiten, wie beispielsweise Sophie, der Tochter von Sigmund Freud und
später mit DDR-Honoratioren) mitgenommen. Ich fühlte mich manchmal ein wenig am
Straßenrand zurückgelassen und vergessen. Vielleicht hätte ich mir von Anfang
an einen Stammbaum anlegen sollen (im Buch ist zwar einer, aber der ist sehr
minimalistisch) damit ich die Wirrungen in der Familie nachlesen und
nachvollziehen hätte können. Habe ich leider versäumt. Sollte ich das Buch noch
einmal lesen, werde ich es wohl tun.
Sympathisch ist mir die ich-Erzählerin Tamara nicht. Ihre
ständig wechselnden Geschlechtspartner (sie hat aus zwei Beziehungen Kinder)
machen die Geschichte für mich als zahllose Nebenschauplätze unübersichtlich
und vielleicht hätte es derer auch nicht ganz so viele gebraucht. Ihre
Schwester Dascha weckt da eher den Beschützerinstikt im Leser. Das Mädchen, das
schon als Kind nicht lügen kann, mit 13 tabletten- und alkoholabhängig wird und
sich schließlich das Leben nimmt konnte zumindest meine Sympathie am ehesten
von allen Charakteren des Buchs gewinnen. Vor allem, da ihre Schizophrenie und
ihre Depressionen damals noch mit Elektroschocks behandelt wurde und sie
mehrere Abtreibungen durchleiden muss, weil sie eine Schwangerschaft nach
Meinung von „Onkel Anton“ nicht verkraftet hätte.
Die Sprache, in der die Ich-Erzählerin Tamara erzählt, ist
gewöhnungsbedürftig. Sie ist grob und
(vielleicht auch durch das „Berlinern“) etwas derb und erinnert an
Gossensprache. Kontrast dazu ist der badische Dialekt der Großeltern. Ich vergebe
für das Buch 3 Sterne. Einen für die Schilderung der Charaktere, die man sich
beim Lesen sehr gut vorstellen kann. Einen für den geschichtlichen Kontext und
einen für die Vielschichtigkeit und Komplexität der Geschichte, die vermutlich
denen, die die DDR miterlebt haben eher zusagen wird, als mir.
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