Sonntag, 6. Januar 2019

Raubkind - Dorothee Schmitz-Köster


Klaus B. wurde in Dresden geboren und nach dem Tod seiner Eltern als fünftes Kind von einer deutschen Familie aus einem Lebensborn-Heim adoptiert. Mit diesem Wissen wuchs der inzwischen fast 80-jährige gelernte Möbelschreiner auf. Aber irgendetwas fehlt in seinem Leben. Wurzeln. Die Gewissheit über seine Herkunft. Und dann wird er von der Journalistin Dorothee Schmitz-Köster kontaktiert, die ihre Arbeit vorwiegend der NS-Geschichte und den Lebensborn-Heimen gewidmet hat.
Sie recherchiert und bringt Unglaubliches zutage. Klaus B. stammt mitnichten aus Dresden, sondern wurde als knapp Fünfjähriger 1943 vermutlich von der SS seiner Familie in Polen geraubt. Name, Abstammung und sogar das Geburtsdatum sind falsch.
Und so erfährt der Leser am Beispiel von Klaus B. (dessen Vorname selbstverständlich eingedeutscht, also germanisiert wurde, so wie der ganze Mensch), dass tatsächlich Zehntausende Kinder in Polen und anderen Teilen Osteuropas dasselbe Schicksal erlitten hatten. Blonde, blauäugige Kinder (also mit arischem Aussehen), wurden den Familien einfach so weggenommen, in Deutschland in Heimen untergebracht und dann (wenn sie germanisiert waren, also die deutsche Sprache beherrschten und ihre Vergangenheit und ihre Ursprungsfamilie weitestgehend vergessen hatten) als Pflege- und Adoptivkinder an linientreue Familien vermittelt. Tatsächlich wissen viele dieser „Raubkinder“ bis heute nichts über ihre Abstammung.
Klaus B. ist hin- und hergerissen ist zwischen der Hoffnung, seine Wurzeln zu finden und dem Wunsch, einfach weiterhin alles ignorieren zu können. Seine bewussten Erinnerungen setzen erst nach dem fünften Lebensjahr ein, tief in sich weiß er, dass da noch mehr sein muss. Und Dorothee Schmitz-Köster dringt tief in die Geschichte der „Raubkinder“ ein, in ein Dickicht aus Bürokratie (polnischer und deutscher) und findet das, was er in seinem Leben vermisst hat: seine Wurzeln, seine Herkunft und tatsächlich noch einen polnischen Familienzweig. Zwar ist seine Mutter inzwischen verstorben und sein Vater unbekannt, aber er hat Halbgeschwister, die ihrerseits Familien haben. Und er erfährt, dass seine Mutter ihn nie vergessen hat und auch die Hoffnung nie aufgeben hat, ihn noch einmal wieder zu sehen.
Das Buch ist so gesehen kein Roman. Und keine Biografie. Es ist eine Mischung aus Sachbuch und Reportage. Den Leser macht das Schicksal von Klaus B. zwar betroffen, man hat aber stets eine Distanz, sowohl zu Klaus B., als auch zur Autorin, die das immer nur „die Journalistin“ genannt wird. Zwar sind dem Leser die Personen sympathisch, aber sie bleiben ohne wirkliche charakterliche Tiefe und distanziert.
Man kann einiges an Emotion zwischen den Zeilen lesen (oder hinein interpretieren). Die Unsicherheit und Angst von Klaus B., die man nicht zuletzt daran sieht, dass er seinen Namen nur im Initial preisgibt. Die Tatsache, dass er zuerst nicht möchte, dass die Geschwister seine Frau von seiner Vergangenheit erfahren. Dabei ist es weder seine Schuld, dass er ursprünglich aus Polen stammt, noch, dass er sich an seine Vergangenheit nicht erinnert, noch, dass er damals entführt wurde und sein neues Leben ihm aufgezwungen wurde. Inzwischen hat er sich damit wohl arrangiert. Briefe an die Verwandtschaft in Polen unterzeichnet er mit seinem deutschen und seinem polnischen Namen.
Insgesamt fand ich das Buch etwas holprig zu lesen. Ja, es macht betroffen und nachdenklich. Aber zu der Tatsache, dass der Inhalt sehr schwere Kost ist, machte der neutral-deskriptive Stil, die Fußnoten und sogar die Kennzeichnung der Zitate mit  (sic!) das Buch definitiv nicht zur Unterhaltungslektüre.
Wohlmeinende 3 Sterne

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.