Klaus B. wurde in Dresden geboren und nach dem Tod seiner
Eltern als fünftes Kind von einer deutschen Familie aus einem Lebensborn-Heim
adoptiert. Mit diesem Wissen wuchs der inzwischen fast 80-jährige gelernte
Möbelschreiner auf. Aber irgendetwas fehlt in seinem Leben. Wurzeln. Die
Gewissheit über seine Herkunft. Und dann wird er von der Journalistin Dorothee
Schmitz-Köster kontaktiert, die ihre Arbeit vorwiegend der NS-Geschichte und
den Lebensborn-Heimen gewidmet hat.
Sie recherchiert und bringt Unglaubliches zutage. Klaus B.
stammt mitnichten aus Dresden, sondern wurde als knapp Fünfjähriger 1943
vermutlich von der SS seiner Familie in Polen geraubt. Name, Abstammung und
sogar das Geburtsdatum sind falsch.
Und so erfährt der Leser am Beispiel von Klaus B. (dessen
Vorname selbstverständlich eingedeutscht, also germanisiert wurde, so wie der
ganze Mensch), dass tatsächlich Zehntausende Kinder in Polen und anderen Teilen
Osteuropas dasselbe Schicksal erlitten hatten. Blonde, blauäugige Kinder (also
mit arischem Aussehen), wurden den Familien einfach so weggenommen, in Deutschland
in Heimen untergebracht und dann (wenn sie germanisiert waren, also die
deutsche Sprache beherrschten und ihre Vergangenheit und ihre Ursprungsfamilie
weitestgehend vergessen hatten) als Pflege- und Adoptivkinder an linientreue
Familien vermittelt. Tatsächlich wissen viele dieser „Raubkinder“ bis heute
nichts über ihre Abstammung.
Klaus B. ist hin- und hergerissen ist zwischen der Hoffnung,
seine Wurzeln zu finden und dem Wunsch, einfach weiterhin alles ignorieren zu
können. Seine bewussten Erinnerungen setzen erst nach dem fünften Lebensjahr
ein, tief in sich weiß er, dass da noch mehr sein muss. Und Dorothee
Schmitz-Köster dringt tief in die Geschichte der „Raubkinder“ ein, in ein
Dickicht aus Bürokratie (polnischer und deutscher) und findet das, was er in
seinem Leben vermisst hat: seine Wurzeln, seine Herkunft und tatsächlich noch
einen polnischen Familienzweig. Zwar ist seine Mutter inzwischen verstorben und
sein Vater unbekannt, aber er hat Halbgeschwister, die ihrerseits Familien
haben. Und er erfährt, dass seine Mutter ihn nie vergessen hat und auch die
Hoffnung nie aufgeben hat, ihn noch einmal wieder zu sehen.
Das Buch ist so gesehen kein Roman. Und keine Biografie. Es
ist eine Mischung aus Sachbuch und Reportage. Den Leser macht das Schicksal von
Klaus B. zwar betroffen, man hat aber stets eine Distanz, sowohl zu Klaus B.,
als auch zur Autorin, die das immer nur „die Journalistin“ genannt wird. Zwar
sind dem Leser die Personen sympathisch, aber sie bleiben ohne wirkliche
charakterliche Tiefe und distanziert.
Man kann einiges an Emotion zwischen den Zeilen lesen (oder
hinein interpretieren). Die Unsicherheit und Angst von Klaus B., die man nicht
zuletzt daran sieht, dass er seinen Namen nur im Initial preisgibt. Die
Tatsache, dass er zuerst nicht möchte, dass die Geschwister seine Frau von
seiner Vergangenheit erfahren. Dabei ist es weder seine Schuld, dass er
ursprünglich aus Polen stammt, noch, dass er sich an seine Vergangenheit nicht
erinnert, noch, dass er damals entführt wurde und sein neues Leben ihm
aufgezwungen wurde. Inzwischen hat er sich damit wohl arrangiert. Briefe an die
Verwandtschaft in Polen unterzeichnet er mit seinem deutschen und seinem
polnischen Namen.
Insgesamt fand ich das Buch etwas holprig zu lesen. Ja, es
macht betroffen und nachdenklich. Aber zu der Tatsache, dass der Inhalt sehr
schwere Kost ist, machte der neutral-deskriptive Stil, die Fußnoten und sogar
die Kennzeichnung der Zitate mit (sic!)
das Buch definitiv nicht zur Unterhaltungslektüre.
Wohlmeinende 3 Sterne
Wohlmeinende 3 Sterne
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