Donnerstag, 9. April 2020

Der Krieg in mir - Sebastian Heinzel

„Anscheinend sind traumatisierte Mäuse wirklich bereit, ein höheres Risiko einzugehen. Ich frage mich, ob dieses Verhaltensmuster auch auf mich zutrifft. […] Bin ich aufgrund der Kriegserlebnisse meiner Großväter bereit, ein höheres Risiko einzugehen, oder ist das völlig aus der Luft gegriffen?“

Dieser Gedankengang des Autors ist eine der Grundlagen des Buchs „Der Krieg in mir“ von Sebastian Heinzel. Seit er Mitte 20 ist, träumt er von Kriegsszenen. Und, anders als vermutlich die meisten Menschen, ist er ziemlich schnell davon überzeugt, er habe die Erlebnisse seiner Großväter „geerbt“. In Zürich trifft er die Epigenetikerin Isabelle Mansuy, die das mit ihrem Team an Mäusen erforscht: Kann ein Trauma von einer Generation an die andere vererbt werden und wenn ja, wie? Ihre Ergebnisse: „Denn die Folgen eines frühkindlichen oder vererbten Traumas können schwerwiegend sein: Depressionen, bipolare Störungen, Borderline-Verhalten, bis hin zu Suizid. Aufgrund der schädlichen Einflussfaktoren unserer modernen Zivilisation sitzen wir zudem auf einer epigenetischen Zeitbombe, deren Auswirkungen auf unsere Gesundheit und auf unsere Gesellschaft erst unsere Nachkommen spüren werden. Es ist eine große, aber wichtige Frage: Welches Erbe hinterlassen wir unseren Enkeln?“ – somit wären wir alle und alle nachfolgenden Generationen mehr oder weniger dazu verdammt, mit allen Traumata der vorherigen zu leben und sie in sich zu tragen und weiterzugeben? Klingt für mich ebenso bedrückend wie abstrus, aber dennoch wissenschaftlich.

Und hätte der Autor an dieser Stelle sein Buch beendet, wäre es auch durchaus gut und lesenswert gewesen. Allerdings folgt auf diesen kurzen wissenschaftlichen Exkurs in der Folge eine Aneinanderreihung von Empfindungen, Gedanken, Seelen-Striptease und unwissenschaftlichen Erkenntnissen. Das finde ich in mehrerlei Hinsicht sehr schwierig. Er begann von Kriegsszenen zu träumen, als er schon mitten im Leben stand. Er kannte die Geschichte seines Großvaters mütterlicherseits, hatte vermutlich unzählige Filme zu diesem Thema gesehen, Bücher darüber gelesen und nicht zuletzt jahrelang Geschichtsunterricht in der Schule besucht. Diese Träume dann mit den Erlebnissen des Großvaters in Verbindung zu bringen, ist legitim. Auch dass er sich die Frage nach der Herkunft dieser inneren Bilder stellt kann ich nachvollziehen und Sabine Bode und Verena Kast haben dazu auch sehr logische Gedanken und Erklärungen bezüglich Träumen und Unterbewusstsein.

Aber oft beschleicht mich beim Lesen das Gefühl, der Autor möchte unbedingt, dass er das Trauma „geerbt“ hat. Die ersten Gespräche zu dem Thema führte er mit einer Heilpraktikerin, in der Folge „arbeitet“ er mit teil sehr renommierten „Traumatherapeuten“, deren Aussagen ich beim besten Willen nicht als wissenschaftlich ansehen kann. Der Autor hat seinen Zivildienst in einer anthroposophischen Gemeinschaft in Pennsylvania verbracht, Esoterik und die zweifelhaften Lehren des „Sehers“ Rudolf Steiner (Begründer der Anthroposophie) sind ihm also nicht fremd. Auch in den Lehren Steiners findet die Epigenetik ihren Platz. Dazu belegt er ein Seminar mit Elementen nach Wilhelm Reich, der in der esoterischen Welt tief verankert und durch seine Orgonforschung bekannt ist.

Andre Jacomet, sein „Traumatherapeut“, sieht beim Autor eine Entwicklung. Einen „inneren Umwandlungsprozess“. „Ich frage Andre, wie er meine Entwicklung seit dem Seminar mit Peter Levine vor einem Jahr einschätzt. „Ich glaube, dass es ungefähr das ist, was zu erwarten war. Ich habe ja damals gesagt, das war die Vorbereitung auf das, was in deinem Leben auf dich zukommt. Und so fühlt sich das im Rückblick jetzt an. Dass du in der Session mit Peter von diesen Händen aus dem Himmel genommen wurdest, ja, geschüttelt wurdest, aufgeweckt wurdest, sich dein ganzes Leben fragmentiert hat und sich jetzt neu ordnet“, sagt Andre. Das klingt alles nach Dingen wie „Rebirthing“ und andere nicht ungefährliche „Therapie-Ansätze“.

Und für mich persönlich das schlimmste Zitat aus dem Munde des „Traumatherapeuten“: „Und ich glaube, dass dein Leben bis zu dieser Session mit Peter eine gewisse Ordnung gefunden hatte, sich irgendwie arrangiert hat und dass das alles aufgeschüttelt wurde, und jetzt, wenn du es so willst, all deine Teile neu zusammenkommen können und dabei auch diejenigen integrieren, die damals abgespalten wurden in der alten Form“, erklärt mir Andre. „Abspalten“ und „Integrieren“ – das sind Begriffe, die bei schwerst traumatisierten Menschen Verwendung finden, unter anderen denen, die unter einer Dissoziativen Persönlichkeitsstörung leiden – im Kontext dieses Buchs sind sie ein Schlag ins Gesicht aller Betroffenen. Weiter weg von „richtiger“ Traumatherapie/Trauma-Arbeit kann man fast nicht sein.

Was kann ich Positives über das Buch sagen? Nicht viel. Weder sprachlich noch inhaltlich konnte es mich in irgendeiner Weise begeistern. Natürlich ist die Auseinandersetzung mit den (Un)Taten der Großeltern und Urgroßeltern wichtig, vielleicht heute wichtiger denn je. Die Frage nach Erb- und Kollektivschuld ist immer noch aktuell. Aber das leistet dieses Buch nicht. Es ist eine persönliche Reise des Autors in die Vergangenheit seiner Großväter und damit in seine eigene mit ein paar lauwarmen Exkursen in die Welt der Wissenschaft. Nicht mehr und nicht weniger. Eine persönliche Findungsreise mit ein bisschen pseudotherapeutischem Schwurbel.

Da wäre so viel mehr drin gewesen, wie etwa ein fundierter Exkurs in die (Neuro)Epigenetik mit tatsächlich wissenschaftlichem Inhalt, tatsächliche traumatherapeutische Ansätze und sogar mehr konkreter geschichtlicher Hintergrund. All das versäumt der Autor zugunsten einer seitenlangen pseudowissenschaftlichen Traumdeutung. Schade. 1 Stern.

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