Donnerstag, 23. Juli 2020

Unter den Stollen der Strand - Daniel Cohn-Bendit

Als jemand, der 1977 geboren ist, war mir Daniel Cohn-Bendit als Grünen-Politiker und später als Europa-Abgeordneter ein Begriff. Wie Fußball-verrückt er ist, wusste ich nicht. Aber in „Unter den Stollen der Strand. Fußball und Politik – mein Leben“ tobt er sich zu diesem Thema aus. Gekonnt verknüpft er Episoden aus seinem Leben mit Anekdoten aus dem Fußball und Grundsätzen der Politik. Aber das Buch ist keine wirkliche Autobiografie, dafür sind Fußball und Politik zu dominant und sein Leben zu sehr im Hintergrund – und wenn es Geschichten aus seinem Leben gibt, dann haben sie meistens – richtig! – was mit Fußball oder Politik zu tun.

Ganz eindeutig: das eine geht für ihn nicht ohne das andere. Und so ist das Buch teilweise schwierig zu lesen und wirkt etwas konfus. Schwierig deshalb, da er sich nicht wirklich an ein Konzept hält, sondern, wie es manchmal scheint, „von Hölzchen auf Stöckchen“ kommt. Er rennt praktisch durch die Geschichte des Fußballs seit den 1950er Jahren, verknüpft sie mit politischen Ereignissen und ein paar privaten Erlebnissen. Damit schafft er ein sehr dichtes Werk, in dem jeder Satz passt, jedes Wort seine Daseinsberechtigung hat und ich musste es manchmal aus der Hand legen, um durchzuatmen.

Das Buch ist ein bisschen wie ein Fußballspiel: mal rasant, mal überhastet und manchmal muss man den Angriff noch einmal von vorn starten (in meinem Fall: zurückblättern und nachlesen). Nein, in der Hinsicht ist es definitiv keine leichte Lektüre. Und obwohl ich politisch mit Daniel Cohn-Bendit in vielem nicht konform gehe und auch seine Fußball-Leidenschaft bei weitem nicht teile – vieles, was er in seinem Buch an- und ausspricht, spricht mir aus der Seele. Sei es der falsch verstandene Nationalismus und Patriotismus von sogenannten Fußballfans, Korruption, Fanatismus und Faschismus und auch die zunehmende Wichtigkeit des Frauenfußballs – alles hat in dem Buch seinen Platz gefunden. Auch die Tatsache, dass er wegen Jair Bolsonaro mehr und mehr die Freude an Brasilien und dem brasilianischen Fußball verliert („Manchmal frage ich mich, ob »Brasilien, mon amour« für mich langsam zu »Brasilien, je t’aime … moi non plus« wird.“) fehlt nicht.

Sein Hass auf Deutschland scheint sich mit den Jahren abgeschliffen zu haben. Obwohl er seit vielen Jahren in Deutschland lebt, identifiziert er sich aber bis heute nicht mit dem Land. Schuld daran ist vermutlich die Frankfurter Eintracht. „Ich kann Ihnen nur sagen, ob Sie Franzose, Türke, Balkanbewohner, Araber, Afrikaner, Asiate oder sonst was sind – wenn Sie sich drei, vier Spiele in Folge in der Commerzbank-Arena ansehen würden, wären Sie danach für den Rest Ihres Lebens »Frankfurter«.“ Deshalb schlägt er für Sportveranstaltungen im Allgemeinen, Fußballspiele im Besonderen vor, erbitterten Nationalismus und Patriotismus außen vor zu lassen und sich auf eine Art „Fanismus“ zu einigen.

Alles in allem ist das Buch schwer einzuordnen. Es ist keine Autobiografie und kein Sportbuch. Es ist kein politisches Manifest und kein Roman. Es ist irgendwie eine Mischung aus allem möglichen, aber eine gelungene und auch für diejenigen ein Lesevergnügen, die keine Fußballfans oder Vollblutpolitiker sind. Mir persönlich hat das Buch mit seiner Begeisterung und auch seinen Ansichten einen neuen Zugang sowohl zum Fußball als auch zur Politik eröffnet. Sprachlich ist es, wie man es von Daniel Cohn-Bendit kennt: ausschweifend, manchmal ein bisschen hektisch, aber präzise und mit treffender Wortwahl formuliert („ Fundamentalismus ist, ob religiös, nationalistisch, laizistisch oder ökologisch, Quatsch mit Soße.“). Man könnte auch sagen, es ist manchmal so unbequem wie er selbst. Manche Wortwahl ist allerding sehr „gehoben“, wie zum Beispiel das Wort „nachgerade“, das ich in dem Zusammenhang noch nicht einmal kannte. Auch wenn der „Unterhaltungswert“ sich für mich teilweise wegen des vielen Hintergrundwissens zum Fußball in Grenzen hielt – für Sprache und Aussage von mir 4 Sterne.

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