Will Raven wird Famulus (also so etwas wie ein Arzt-Azubi) bei Dr. Simpson, einem der bekanntesten Geburtshelfer und Ärzte in Edinburgh. Will wird nicht nur von Simpson angelernt, er lebt auch im Haushalt des Arztes, was für ihn ein Glücksfall ist, denn er ist in großen Geldnöten. Hatte er sich doch für eine befreundete Prostituierte bei Geldverleihern Geld besorgt. Die junge Frau starb – und die Geldverleiher wollen ihr Geld zurück. Will bekommt also allerhand zu tun. Er wird in die Geheimnisse der Geburtshilfe eingeweiht und macht erste Gehversuche auf dem neuen Gebiet der Anästhesie, dazu ist er auf der Flucht vor den Geldeintreibern und versucht auch noch, den Tod seiner verstorbenen Freundin aufzuklären. Auch Dr. Simpsons Zimmermädchen und „Arzthelferin“ Sarah ermittelt, denn auch sie hat eine Freundin verloren. Und bei diesen Toden bleibt es nicht – es sterben weitere Frauen.
„Die Tinktur des Todes“ von Ambrose Parry ist eine solide Mischung aus Krimi und (medizin)historischem Roman. Die Spannung ist konstant vorhanden, aber eher subtil und unterschwellig. Das Autorenduo, das sich hinter dem Namen verbirgt, schafft es hervorragend, die Stimmung des viktorianischen Edinburghs einzufangen. Sowohl die gesellschaftlichen Unterschiede zwischen den ärmeren (und sehr armen) Schichten und den „besseren Kreisen“ kommen zum Ausdruck, als auch die Rolle von Mann und Frau, die aufkeimende Emanzipation und der beginnende Feminismus. Und natürlich darf in einem Roman über diese Zeit auch die Religion nicht fehlen.
Manchmal bekommt man als Leser das Gefühl, die Autoren verzetteln sich etwas und packen zu viele Themen in das Buch. Aber sie schaffen es meiner Meinung nach immer wieder, den Bogen zu schlagen und verlieren nie den roten Faden. Gut, der Kriminalfall gerät manchmal ein bisschen in den Hintergrund, denn die (fiktive) Geschichte der Anästhesie ist sehr dominant vorhanden. Dennoch ist es kein Geschichtsbuch, sondern ein sehr gelungener Roman, den ich sehr gerne gelesen habe. Manche Stellen fand ich ganz besonders gelungen, so zum Beispiel „Die Natur stellt uns zahlreiche nützliche Heilmittel bereit, aber die Chemie entlockt ihnen ihre Geheimnisse“, oder die Kritik an der Homöopathie „Die Lehre, Gleiches heile Gleiches, ergibt in meinen Augen wenig Sinn“.
Die Sprache passt meiner Meinung nach ganz hervorragend in die Zeit, in der die Geschichte spielt und gibt dem Ganzen eine besondere Note, ohne es in den Kitsch abrutschen zu lassen. Die Charaktere sind sauber ausgearbeitet und bildhaft beschrieben. Von mir für den (wie es scheint) ersten Teil der Serie um Will Raven 5 Sterne, ich freue mich jetzt schon auf eine Fortsetzung.
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