Dienstag, 5. Januar 2021

Meine lieben jungen Freunde - Hans Fallada, Hrsg. Nele Holdack

„Meine lieben jungen Freunde: Briefe an die Kinder“ von Hans Fallada ist ein schmaler Band (das Buch hat nur 144 Seiten), in dessen erstem Teil augenscheinlich nicht mal wirklich viel steht. Kennt man aber die Biografie des Schriftstellers, dann steht zwischen den Zeilen sehr viel und im zweiten Teil noch viel mehr. Außerdem besteht nur der erste Teil des Buchs aus Briefen, aber nicht an DIE Kinder, sondern fast ausschließlich an seine Tochter Lore, genannt Mücke, die als Neunjährige ein Internat in Hermannswerder bei Potsdam besuchte, da es in der ländlichen Heimat nur eine Dorfschule gab. Die Briefe an seinen Sohn Uli, der im Internat in Templin (Uckermark) war, sind übrigens in „Mein Vater und sein Sohn“ erschienen. Den zweiten Teil macht ein Vortrag aus, den Fallada für den literarischen Verein seines Sohnes Ulrich schrieb (und auch hielt). Von diesem stammt auch der Titel des Buchs.

Der erste Teil, die Briefe an Mücke sind zwar eher trivial, denn Fallada lässt die Tochter durch seine Berichte am Leben zu Hause teilhaben. In der Hauptsache bestehen seine Briefe aus Erzählungen darüber, was sie verpasst, Kritik an ihrer mangelhaften Rechtschreibung und Bitten, sie möge doch öfter und vielleicht etwas ausführlicher schreiben. Mücke schreibt kurz und erzählt eher wenig und auch ihre vielen Rechtschreibfehler sind übernommen. Da die Briefe aus der Zeit August 1942 bis Ende 1943 stammen, fehlen aber auch Fliegerangriffe und Luftalarme in Mückes Briefen nicht, was das Buch zu einem eher unterschwelligen, wenn auch sehr knappen, Zeitdokument macht. Die Eltern auf dem Land sehen den „Feuerschein über Berlin“ aus der Ferne und hören die Flugzeuge, Mücke erlebt manches hautnah.

Der zweite Teil des Buch, der Vortrag an „meine lieben jungen Freunde“, ist autobiografisch angehaucht und zeigt eine Art „Innenansicht“ des Schriftstellers, der zwar wohl tatsächlich der liebende Vater war, den die Briefe des ersten Teils erahnen lassen, aber der auch eine andere, eine dunkle Seite hatte. So war er Alkoholiker, Morphinist und nahm es mit der ehelichen Treue nicht so genau. Und er war ein Getriebener, einer, der gegen seine Dämonen ankämpfte und letztendlich verlor. „Man muss Bücher schreiben, weil man sie schreiben muss!“ Sogar: „Schreibe ich denn diese Bücher? Es schreibt sie in mir.“ – war nicht nur seine Erklärung dafür, was es braucht, ein Schriftsteller zu werden, sondern auch eine Art Entschuldigung für seinen Lebensstil und seinen Lebenswandel.

Die heile (Familien-)Welt, die der erste Teil vermuten lässt, ist nämlich tatsächlich nicht so heil, wer Fallada kennt, weiß beispielsweise, dass er nicht nur mehrfach zum Entzug in diversen Sanatorien war, sondern auch im Gefängnis saß, weil er seine Frau im Rausch mit einer Pistole bedrohte. Mit diesem Wissen im Hinterkopf liest sich das Buch dann zwischen den Zeilen doch etwas anders. Aber fest steht, dass er mit Sicherheit ein liebender und liebevoller Vater und ein außergewöhnlicher Schriftsteller war. Mir hat das Büchlein den Menschen Hans Fallada (oder Rudolf Ditzen, wie er mit bürgerlichem Namen hieß) etwas näher gebracht. Eine Lese-Empfehlung für alle, die, wie ich, Falladas Werk schätzen. 5 Sterne.

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