Freitag, 12. Februar 2021

Geschichten, die nie erzählt werden - Olga Drocjuk (Hrsg.)

„Geschichten, die nie erzählt wurden“, ist ein bunter Geschichten-Flickenteppich, der wirklich für jeden etwas bietet. So viel steht auf jeden Fall fest. Denn das von Olga Drocjuk herausgegebene Buch beinhaltet die meisten gängigen literarischen Genres wie Krimi, Geschichte, Fantasy/Mystery, Familien-, Liebes- und Science-Fiction Geschichten. Da werden unter anderem Affären ebenso beschrieben wie lästige Feiern mit ungeliebten Verwandten, Demenz, Umweltverschmutzung, Zusammenhalt und Vermissen. Die umfassende Überschrift über die 26 Geschichten und drei Gedichte könnte „Weihnachten“ sein, denn die meisten Kapitel handeln (wenn auch nur am Rande) davon.

„Geschichten, die nie erzählt wurden“ – das passt auf einen Teil der Geschichten sehr gut. Einige sind hervorragend geschrieben, wunderschön und/oder sehr spannend erzählt und behandeln wichtige, aktuelle oder zeitlose Themen, sie sind sensibel, auf den Punkt und eine echte Bereicherung. Die eine oder andere Geschichte fand ich sehr rührend und ich musste ab und zu innehalten und ein Tränchen abwischen. Schön fand ich, dass beispielsweise in den Science-Fiction-Geschichten (und das ist absolut nicht mein bevorzugtes Genre) echte Menschen, ihre Gefühle und Gedanken im Mittelpunkt stehen und nicht irgendwelche Aliens. Und auch die Krimis sind trotz Brutalität und Gewalt psychologisch interessant und gekonnt konstruiert.

Ein paar hingegen sind Geschichten, die zum hundertsten Mal erzählt wurden oder besser nie erzählt worden wären. Da musste ich an meinen Dozenten denken, der immer sagte: „Jede Geschichte ist schon einmal geschrieben worden, nur aus einem anderen Blickwinkel“. Mag sein, trifft in diesem Fall aber nicht zu, denn manche Geschichten hat man so oder sehr ähnlich schon Dutzende Male gelesen. Manche sind leider auch sprachlich (sowohl grammatikalisch als auch in der Wortwahl) höchstens auf dem Niveau einer Kreatives-Schreiben-AG. Und das fand ich bei der Lektüre sehr schade, denn man läuft beim Lesen Gefahr, die wirklich guten Geschichten (das sind gut zwei Drittel), zu überblättern oder gänzlich die Lust am Weiterlesen zu verlieren.

Insgesamt fand ich die Geschichtenauswahl zum Thema Weihnachten gut (das Buch erschien im November, also pünktlich um auf dem Gabentisch zu liegen). Krimis und Geschichten mit reichlich Gewalt zum Fest haben wohl Tradition, da genügt ein kurzer Blick ins Fernsehprogramm über die Feiertage; Familiengeschichten über Streitigkeiten, ungeklärte Konflikte und schiefgelaufene Familienfeiern sind des Buchs ebenfalls würdig und vermutlich haben die meisten Leser so etwas schon einmal erlebt. Und manche der Science-Fiction Geschichten über Weihnachten im Weltall fand ich wunderschön, empathisch geschrieben und kreativ in Idee und Umsetzung.

In der Hauptsache hat mich das Buch ziemlich gut unterhalten. Es war ein bisschen wie ein Menü bei einer Weihnachtsfeier: Haute Cuisine trifft auf solide Hausmannskost und der Rest ist eher unlecker und so, dass niemand dem Gastgeber die Wahrheit darüber sagt. Aber die unterschiedlichen Genres, verschiedene, teils mir unbekannte und neue Autoren (die zum Teil unter ihrem Klarnamen, zum Teil aber unter Pseudonym schreiben) mit völlig unterschiedlichen Stilen – das war mal eine Werksschau der anderen Art. Die Geschichten kann man als Anreiz sehen, sich näher mit Autoren zu befassen, deren Geschichten man gut fand, die meisten davon sind im Internet zu finden. Für Freunde von eher ungewöhnlichen Kurzgeschichten, die zum Nach- und Weiterdenken einladen, sind die Geschichten vermutlich genau das Richtige. Auch wenn ich manche Geschichten nicht wirklich gelungen fand, gebe ich diesem Buch 4 Sterne.

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