Montag, 15. Februar 2021

Jugend - Tove Ditlevsen

„Jugend” ist der zweite Teil der „Kopenhagen Trilogie“ von Tove Ditlevsen. Ursprünglich waren die ersten beiden Teile „Kindheit“ und „Jugend“ 1969 in dem Band „Den tidlig forår“ veröffentlich worden, auf Deutsch erscheint die Trilogie über 40 Jahre nach Tove Ditlevsens Tod zum ersten Mal. Das Buch schließt nahtlos an den ersten Band an, die Autorin beschreibt die Zeit nach ihrer Konfirmation, also ab dem Alter von etwa 14 Jahren.

Tove versucht, sich mehr und mehr von der Familie zu emanzipieren, die sie zwar nicht unterstützt, gerne aber ihr Kostgeld zum Lebensunterhalt annimmt. („Wir sind nur deinetwegen umgezogen“, klagt meine Mutter verbittert, „damit du dein eigenes Zimmer zum Dichten bekommst. Aber das kümmert dich nicht. Und jetzt ist dein Vater wieder arbeitslos. Wir können nicht auf deinen Beitrag zur Miete verzichten.“) Ihr Bruder Edvin hat die elterliche Wohnung bereits verlassen, später heiratet er sogar heimlich. Und auch Tove träumt von einem eigenständigen Leben und von einem Leben als Schriftstellerin.

Aber erst einmal muss sie eine Arbeit finden, die ihr ein Auskommen ermöglicht, denn dass sie Dichterin werden könnte, ist vor allem für den Vater undenkbar. Und so landet sie erst als Haushälterin in einer Familie, dort hält sie es genau einen Tag aus. Nach einer Episode als Hilfskraft in einem Hotel bekommt sie verschiedene Anstellungen als Schreib- und Bürokraft, nebenher dichtet sie ab und zu für Kollegen Lieder. Und sie zieht aus der elterlichen Wohnung aus und bezieht ein möbliertes Zimmer in Østerbro, aus dem unangepassten Mädchen aus „Kindheit“ wird eine ebenso unangepasste junge Frau. Sie ist hin- und hergerissen zwischen Arbeit, wenig Freizeitvergnügen (viel ist nicht möglich, da sie kaum Geld hat, aber auch weil der 2. Weltkrieg vor der Tür steht) und dem Schreiben.

Sie trifft den 30 Jahre älteren Verleger Viggo Fr. Møller, der in seiner Zeitschrift „Wilder Weizen“ (Vild Hvede) ihr erstes Gedicht veröffentlicht und sie 1939 bei der Veröffentlichung ihrer ersten Gedichtsammlung „Mädchenseele“ (Pigesind) unterstützt. („Könnten Sie sich vorstellen“, fragt Viggo F. Møller, „einen Gedichtband zu veröffentlichen?“ Er sagt das, als wäre es nichts Außergewöhnliches. Er sagt es, als wäre es etwas ganz Alltägliches für mich, Gedichtbände zu veröffentlichen; als wäre es nicht, solange ich denken kann, mein heißester Wunsch. Und ich antworte mit einer dünnen, alltäglichen Stimme, das könne ich mir durchaus vorstellen, ich hätte nur noch nie darüber nachgedacht.)

Wer Tove Ditlevsens Biografie kennt, weiß, dass sie ihn heiraten wird (über ihre Ehen schreibt sie in „Abhängigkeit“, dem dritten Teil der Trilogie). Tove Ditlevsen schreibt, wie man es von ihr gewohnt ist: schonungslos deskriptiv und dennoch bildhaft und poetisch. Ihr Hunger ist spürbar: aufs Schreiben, Liebe und vor allem aufs Leben. Es ist ein Coming-of Age Roman, der Bericht über eine, die es geschafft hat: raus aus der armen Arbeiterfamilie, rein in die „feinere Gesellschaft“ („Ich habe viele Berühmtheiten getroffen. Ich habe sie gesehen, mit ihnen gesprochen, neben ihnen gesessen, mit ihnen getanzt. Sowie ich den Saal betreten hatte, bewegte ich mich in einer ganz anderen Sphäre als gewöhnlich.“) Dazu zeichnet sie ein kritisches Bild der dänischen Gesellschaft vor dem 2. Weltkrieg, denn auch in Dänemark gab es überzeugte Nazis. Das Buch thematisiert darüber hinaus Emanzipation und den Wunsch nach einem anderen Leben. Toves Wunsch geht scheinbar in Erfüllung (wer ihre Biografie kennt, der weiß, dass es nicht wirklich so ist).

Ein trotz der in der Hauptsache düsteren Grundstimmung eher positiver und schonungslos realistischer Roman – von mir eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

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