Mittwoch, 24. März 2021

Ins Leere gelaufen - Byung Jin Park

„Ich, depressiv? Niemals!“ – so dachte Byung Jin Park noch vor einigen Jahren. Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, kurzer Geduldsfaden – ja, aber das liegt ja an etwas anderem. Dass er im zwei-Wochen-Rhythmus krank wurde hatte auch einen anderen Grund. Welchen? Das wusste er auch nicht so genau. Aber irgendwann konnte er sich vor der Diagnose nicht mehr verstecken. Der Anwalt musste sich der Wahrheit stellen: er leidet unter einer Depression. Wie er es geschafft hat, damit leben zu lernen, beschreibt der inzwischen 36-Jährige in seinem Buch „Ins Leere gelaufen“.

Dabei kommt bei ihm so einiges zusammen, was einen Menschen ganz schön mitnehmen kann: mit zehn Jahren aus Südkorea nach Deutschland gekommen, erst einmal für fünf Jahre, da der Vater eine befristete Stelle hatte. Er wurde praktisch ohne Sprachkenntnisse aufs Gymnasium eingeschult, hat sich durchgebissen, war er doch in Korea Klassenbester gewesen. Er fand Freunde, trieb Sport und regelte als „Manager“ für die Familie Dinge (vor allem mit Behörden), für die er eigentlich noch viel zu jung war. Und immer hatte er im Hinterkopf: „mach uns stolz“. Gefühle zeigen und zulassen hat er nie gelernt, auf sich selbst stolz zu sein oder gar sich selbst zu lieben noch viel weniger. An diesen Stellen im Buch griff ich zum ersten Mal nach einem Taschentuch.

Einige Tränen und Schluchzer weiter fühlte ich mich in dem Buch fast gespiegelt. Der Autor und ich sind so verschieden und doch so gleich in vielem. Und das geht ganz sicher den meisten depressiven Lesern so. Wer also Angst hat, getriggert zu werden, sollte mit dem Lesen lieber warten, denn das Buch wühlte zumindest in mir eine Menge Gefühle auf. So viele Ähnlichkeiten schwarz auf weiß zu lesen, das kann einem ganz schön zu schaffen machen. Umso schöner ist es, wenn man dann liest, wie Byung Jin Park seinen Weg gefunden hat. Nein, nicht aus der Depression heraus, denn ihm ist klar, dass sie ihn ein Leben lang begleiten wird. Aber er hat Wege gefunden, mit ihr zu leben. Nach gescheiterter Ehe aus der „die beste Tochter der Welt“ hervorging, hat er eine Lebensgefährtin gefunden. Auch seine Familie unterstützt ihn bis heute, obwohl er den Kontakt zu ihr zeitweise komplett abgebrochen hatte.

Nein, dieses Buch ist kein „weiteres Buch über Depressionen“ oder gar ein Ratgeber, auch wenn es viele gute und nützliche Anregungen bietet – nicht zuletzt die, sich Hilfe zu suchen. Es ist auch keine Biografie eines „perfekt integrierten Anwalts mit Migrationshintergrund“. Es ist die berührende Geschichte eines jungen Mannes, der sich auf der Suche nach sich selbst verloren hat und sich mit viel Anstrengung neu aufstellen musste. Der Hilfe brauchte, zuerst nicht suchte, dann aber annahm. Der sich selbst und die Liebe fand, außerdem seine Wurzeln in der Familie und die Flügel in der Beziehung zu seiner Lebensgefährtin.

Eine Erfolgsgeschichte also? Jein. Eine Geschichte über harte Arbeit, die auch nach dem Aufenthalt in der psychosomatischen Klinik jeden Tag weitergeht. Denn „dunkle Phasen kommen und gehen“. Es ist eine Geschichte über Liebe, Leben, Musik, über ein Klapprad und ein Naturschutzzentrum, die Kampenwand und Twitter. Und darüber, dass Wut und andere negative Gefühle zu einem selbst gehören und man sich trotzdem lieben darf und dass man es lernen kann und sollte, diese Gefühle anzunehmen. Und dass man manchmal stolz auf das Erreichte sein kann, denn das Leben ist kurz und man muss es leben, solange man kann und solange es andauert. Von mir eine klare Lese-Empfehlung und 5 Sterne.

 

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