Montag, 19. Juli 2021

Der silberne Elefant - Jemma Wayne

Drei völlig unterschiedliche Frauen. Drei Schicksale, die alle irgendwie miteinander verflochten sind – und doch kämpft jede für sich allein. Aus dieser Konstellation hat Jemma Wayne ihren Roman „Der silberne Elefant“ gestrickt. Ein gelungenes Werk, das aber auch Kritikpunkte aufwirft.

Emilienne hat als 12Jährige als Mitglied des Stammes der Tutsi den Genozid in Ruanda überlebt. Sie versucht, sich nach ihrer Flucht in London mehr schlecht als recht durchzuschlagen, immer wieder heimgesucht von Flashbacks und Alpräumen. Sie musste im Bürgerkrieg erfahren, wie schnell aus Freunden Feinde werden können und sie plötzlich kein Mensch mehr, sondern nur noch „Langnase, Bohnenstange, Parasit, Kakerlake“ war. Eigentlich arbeitet sie als Reinigungskraft und landet bei der unheilbar an Krebs erkrankten Lynn.

Lynn ist Mitte 50 und hat nicht mehr lang zu leben, durch die Erkrankung hat sie oft starke Schmerzen und hadert mit ihrer Gebrechlichkeit, trauert aber auch den im Leben verpassten Chancen nach. Sie hatte aus eigenem Willen heraus ihre eigene Karriere zugunsten der ihres Mannes aufgegeben, noch bevor sie begonnen hatte. „Erst viele Jahre später ging ihr auf, was für einen schwerwiegenden, folgenreichen Fehler sie damit begangen hatte.“ Ihre Wut darüber lässt sie vor allem an der dritten Protagonistin Vera aus.

Diese ist die Verlobte von Lynns Sohn Luke. Sie hat eine Vergangenheit mit Drogen und Sex und eine (vermeintliche) schwere Schuld auf sich geladen. Luke möchte sie von ihrer Schuld befreien. Er zwingt ihr seinen Glauben auf und will aus dem Partygirl eine brave und gottesfürchtige Ehefrau machen. Allerdings beginnt er im Lauf der Geschichte selbst, mit dem Glauben zu hadern, „denn er konnte das Tempo, in dem sich der Zustand seiner Mutter verschlechterte, nicht beeinflussen, selbst wenn er noch so eifrig die Bibel studierte, noch so viel Geld an wohltätige Einrichtungen spendete, noch sooft betete und auf Alkohol und Sex verzichtete“.



Die drei Schicksale, die die Autorin der Leserschaft serviert, sind sehr unterschiedlich und doch in vielem ähnlich. Aber zwei davon sind im weitesten Sinne hausgemacht, denn Lynn hat sich aus freien Stücken für ihr Leben entschieden und auch nach dem Tod ihres Mannes keine Versuche unternommen, etwas zu ändern. Vera hat ebenfalls ihre (im Nachhinein für sie falsche) Entscheidung selbst getroffen. Einzig Emily hatte keine Möglichkeit, in ihr Schicksal einzugreifen. Ihre Wahl (z. B. ob sie eine Therapie beginnt) steht noch an.

Sprachlich fand ich das Buch gut zu lesen, denn es ist flüssig und wortgewaltig geschrieben. Manchmal fand ich die Beschreibungen sogar zu heftig, vor allem bei Emily Erlebnissen hätte ich mir eine Triggerwarnung gewünscht. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, allerdings schwankte ich immer wieder zwischen Sympathie und Unverständnis. Vor allem Vera wollte ich immer mal wieder packen und schütteln und sie fragen, was sie an dem verklemmten Luke eigentlich findet. Und Lynn sollte zügig ihre Gemälde einem Publikum zugänglich machen, damit sie wenigstens noch einen Erfolg im Leben hat.

Können weiße Autor:innen über BIPOC-Themen und Traumata schreiben, die sie nicht wirklich nachvollziehen können?

Jein. Denn es sind Geschichten, die erzählt werden müssen. Aber sie müssen gut erzählt werden und das gelingt der Autorin in diesem Fall so semi-gut. Das Buch ist sicher mit den besten Absichten geschrieben, aber bei der Verflechtung der drei Frauenschicksale wäre weniger vermutlich mehr gewesen. Auch die vielen Themen, die die Autorin aufgreift (Vergebung, Trauma, Schuld, Glaube, Sexualität, Tod und der Bürgerkrieg in Ruanda) wären, ebenso wie die komplexen Charaktere, eigentlich Stoff für mehr als einen Roman.

Das Ende fand ich wegen vieler offener Fragen eher unbefriedigend. Auch mit dem Titel wurde ich nicht warm, denn die Figur spielt im Buch so gut wie keine Rolle. Dennoch: ich fand das Buch gut und in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Trotz der Kritikpunkte vergebe ich vier Sterne.

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