Mittwoch, 14. Juli 2021

In all seinen Farben - George Lester

Robin Cooper, der offen homosexuelle fast 18jährige Protagonist in George Lesters Jugendroman „In all seinen Farben“, steht kurz vor dem Schulabschluss. Sein größter Traum ist es, an der LAPA, der renommierten britischen Schauspielschule London Academy of Performing Arts (sie existiert übrigens nicht mehr) zu studieren. Als dieser Traum in Form einer Absage platzt, muss sich der junge Mann neu orientieren und findet in der Londoner Drag-Szene eine neue Möglichkeit. Und damit ist die bunte Geschichte über Homosexualität, Erwachsenwerden, Selbstfindung und Träume auch leider im Klappentext schon fast komplett fertig erzählt. Noch dazu zeigt der englische Titel „Boy Queen“ sehr deutlich, wo die Reise für Robin hingehen wird. Noch ein Hauch Liebesgeschichte und eine Gewalterfahrung (die aber länger zurückliegt und von der nur rückblickend erzählt wird) – fertig ist der bunte LGBTQ+-Roman und ein lesenswertes und unterhaltsames Buch mit ein paar (aus meiner Erwachsenen-Sicht) Schwachpunkten.

Das Buch wird aus Robins Sicht in der „Ich“-Perspektive erzählt und die Leserschaft erlebt alles auch nur aus seiner zum Teil sehr subjektiv-eingeschränkten Sicht auf die Dinge. So kommt er einerseits als sehr zielstrebiger und fordernder junger Mann rüber, andererseits wirkt er aber auch oft verletzlich und unsicher. Die Absage der Schauspielschule wirft ihn zuerst völlig aus der Bahn, außerdem hat er Liebeskummer, da sein Freund Connor ungeoutet ist und in der Öffentlichkeit nicht zu ihm steht. Allerdings hat er auch sehr großes Glück im Leben und scheint sich dessen nicht immer wirklich bewusst zu sein. Das ist mein großer Kritikpunkt an der Geschichte, wobei es natürlich perfekt zum „Coming-of-Age“-Genre passt: Robin legt viel pubertäres Verhalten an den Tag, in seinem Egoismus und seiner Egozentrik stößt er seine Freunde vor den Kopf, denn als er Drag für sich entdeckt, interessiert er sich für nichts anderes mehr.

Das belastet auch das sonst sehr gute Verhältnis zu seiner Mutter enorm. Seine Mutter steht voll hinter ihm, unterstützt ihn in allem und arbeitet hart, um den Lebensunterhalt finanzieren zu können („»Was glaubst du wohl, warum ich nicht hier bin, Robin?«, schreit sie. »Ich bin nicht hier, weil ich mir den Ar* aufreiße, um dir ein gutes Leben zu ermöglichen. Ich mache das komplett allein. Ich bezahle deinen Tanzunterricht, ich bezahle deine Gesangsstunden, ich sorge dafür, dass dir alle Möglichkeiten offenstehen, und du merkst das nicht mal!«“) Oft scheint er es nicht wirklich zu schätzen, schwänzt Tanzunterricht und Schule und setzt alles bislang Erreichte aufs Spiel. Trotz aller Zielstrebigkeit ist er halt ein echter Teenager und manchmal wollte ich ihn einfach nur schütteln und anbrüllen, er möge ein bisschen mehr Respekt und Dankbarkeit zeigen. Aber dann habe ich mir die Zielgruppe ins Gedächtnis gerufen, dann passte es wieder. Auch der Schreibstil ist der Zielgruppe angemessen, locker aus der Hüfte, leicht zu lesen, wenn auch mit einem ernsten Unterton in den Zwischenzeilen. Die Haupt-Charaktere sind gut ausgearbeitet, die Nebencharaktere (darunter auch Robins Freund Connor) bleiben allerdings eher schemenhaft und blass, da wäre noch etwas Luft nach oben gewesen.

Und bei den vielen Klischees, die der Autor bedient (angefangen vom Dramadramadrama des Protagonisten bis hin zum ungeouteten Freund, der sich in homophoben Kreisen bewegt) muss man sich als Leser:in über eines klar sein: nicht jeder hat es so gut wie Robin. Sein Outing verlief wohl sehr entspannt, seine Mutter steht voll hinter ihm, egal, was er macht – das erleben auch im Jahr 2021 nicht alle. Schade, ist aber so. Da zeichnet das Buch für mich ein etwas zu konstruiert-rosarotes Bild.

Aber sonst fand ich es wirklich gut, es gab mir Einblicke in die Drag-Welt (der Autor tritt selbst als Drag Queen auf, kennt die Szene also genau), die ich so nicht kannte und es war auch sonst sehr flott zu lesen. Von mir daher vier Sterne.

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