Mittwoch, 18. August 2021

Between your words - Emma Scott

An „Between your words“ von Emma Scott bin ich eher zufällig geraten und ich habe es nicht bereut. Auch wenn die Liebesgeschichte zwischen Jim und Thea voller Klischees, größtenteils unrealistisch oder zumindest höchst unwahrscheinlich ist, hat sie doch Charme, philosophisch angehauchte Passagen und geht ans Herz. Als Fan von Oliver Sacks und Peter Lund Madsen bin ich immer wieder gespannt darauf, wie die Themen Gehirn und Gedächtnis in Romanen umgesetzt werden. Wirklich schlecht macht die Autorin es in diesem Fall nicht, aber auch nicht hundertprozentig gut.

Die junge Künstlerin Althea leidet nach einem schweren Autounfall unter einer extrem seltenen Form der Amnesie („Althea Hughes hat die zweitschlimmste dokumentierte Amnesie in der Geschichte der Medizin“) und lebt in einem Sanatorium. Sie hat immer rund fünf Minuten bewusstes Erleben, bevor ihr Gehirn das Kurzzeitgedächtnis löscht und auf null zurücksetzt. Jim ist der neue Aushilfspfleger, der ebenfalls sein Päckchen zu tragen hat. Er wuchs in verschiedenen lieblosen Pflegefamilien auf. Er verliebt sich sofort in Thea und kümmert sich über die Grenzen der Professionalität hinaus um sie. Mehr möchte ich über die Handlung gar nicht schreiben, ich möchte nicht spoilern.

Sprachlich fand ich das Buch gut zu lesen, es ist flüssig und gefühlvoll geschrieben. Eingeteilt in drei große Teile werden die Unter- Kapitel aus der Sicht von Thea und Jim aus der jeweiligen Ich-Perspektive erzählt. Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet und beschrieben, jeder hat seine Geschichte, auch wenn sich nicht jeder an sie erinnert. Thea fand ich eher interessant als sympathisch, weil an ihrer Person essenzielle Fragen hängen. Kann jemand leiden, wenn er seine Situation nicht bewusst wahrnimmt? („»Es gibt keine Wahrnehmung ohne Bewusstsein.« Sie lächelte sanft. »Deshalb nennt man es bewusstlos.«“) Kann man glücklich sein, auch wenn man sich nicht daran erinnert, was „glücklich sein“ ist?

An Jims Charakter hängen eher greifbare als philosophische Probleme. Als ehemaliges ungeliebtes Pflegekind („Du bist nicht mit mir verwandt. Du bist nichts als ein Scheck, der jeden Monat mit der Post kommt, also hör auf zu heulen.«“) stottert er phasenweise stark und wurde in der Schule gemobbt und von seiner Pflegemutter Doris beschimpft und beleidigt („Pfft. Er ist einfach ein Riesendummkopf. Das beweist das nur.“) Ihn mochte ich von Anfang an sehr, er ist ein liebevoller und liebesbedürftiger junger Mann, aber ab und an verbissen und fast übergriffig.

Theas Schwester Delia fand ich trotz ihrer rauen Art einen ebenfalls starken Charakter. Die Eltern der beiden jungen Frauen kamen bei dem Unfall ums Leben, bei dem Thea verletzt wurde. Delia war als einzige nicht im Auto, fühlt sich unterbewusst schuldig („Ich hätte auch in diesem Auto sitzen sollen“) und dadurch für ihre Schwester verantwortlich. Die Art, wie sie sich um Thea kümmert und deren Pflege arrangiert, ist grob und irgendwie arrogant, dennoch glaube ich, manchmal einen Hauch Überforderung herauslesen zu können.

Neben der romantischen und herzergreifenden Liebesgeschichte thematisiert die Autorin auch Dinge wie Personalmangel in Pflegeeinrichtungen, Übergriffe auf Bewohner und die Situation mancher Kinder in Pflegefamilien. Die fand ich teilweise schwerer zu verdauen als die Amnesie und die Triggerwarnung im Buch ist durchaus berechtigt. Thea ist gefangen in einem Leben ohne Erinnerungen, Jim ist gefangen in den Erinnerungen seines Lebens und beide leiden darunter, wenn auch auf unterschiedliche Weise.

Für mich war es ein starkes Buch mit ein paar Schwächen. Aber die Autorin wollte ja kein Fachbuch schreiben, daher möchte ich ihr die schwache und klischeehafte Umsetzung der medizinischen Aspekte nicht zu stark ankreiden. Herausgekommen ist eine ergreifende, hochemotionale Liebesgeschichte, ein solides, tiefgründiges, manchmal sogar spannendes Buch, das noch einige Zeit nachhallt. Von mir 4,5 Sterne, aufgerundet auf 5.

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