Donnerstag, 31. März 2022

Tiefe Schluchten - Arnaldur Indriðason

Dass ein packender Krimi keine übermäßige Gewalt oder Blutvergießen braucht, zeigt das neue Buch von Arnaldur Indriðason ganz deutlich. „Tiefe Schluchten“ lebt vielmehr von der Atmosphäre und verlangt dem Publikum einiges an Konzentration ab. Daher fand ich die Lektüre anstrengender als bei den meisten anderen Krimis. Zugegeben, er ist der einzige isländische Autor, der mir namentlich bekannt war, das Buch war allerdings mein erstes von ihm. Aber sicher nicht mein letztes, denn sein Stil und das feine Gespür für Zwischentöne haben mich beeindruckt und die Lektüre des Buchs zu etwas Besonderem gemacht. Die Geschichte an sich fand ich zwar gut konzipiert und spannend, aber das wahre Highlight für mich war die Fähigkeit des Autors, eine enorm düstere und bedrückende Atmosphäre zu schaffen.

Aber von vorn.

Eine Frau wird ermordet, ihre Wohnung verwüstet. Da auf ihrem Schreibtisch ein Zettel mit Konráðs Telefonnummer liegt, gerät er ins Visier der Ermittlungen. Schnell wird klar: die Tote hatte ihn vor einiger Zeit gebeten, ihr vor Jahrzehnten zur Adoption freigegebenes Kind zu suchen, was er allerdings abgelehnt hatte. So wie sie es offenbar bereute, das Kind weggegeben zu haben, bereut er nun, ihr ihren Wunsch abgeschlagen zu haben. Zumal er als Kommissar im Ruhestand auch Zeit gehabt hätte, nach dem Kind zu suchen, von dem sie selbst nicht einmal wusste, ob es männlich oder weiblich war. Die Polizei ermittelt im Mordfall und er macht sich aus schlechtem Gewissen und Langeweile auf die Suche nach dem inzwischen rund 50 Jahre alten „Kind“. Seine Ermittlungen sind sehr vielschichtig und schnell stößt er auf eine Hebamme, die wohl Schwangere überredete, ihre Kinder auszutragen und dann zur Adoption freizugeben. Konráðs größtes Problem bei seinen Nachforschungen ist allerdings, dass die meisten Beteiligten inzwischen verstorben sind. Er hat große Schwierigkeiten, überhaupt noch jemanden zu finden, der ihm weiterhelfen kann. Und dann ist ja da auch noch der Mord an seinem eigenen Vater, den er aufklären möchte.

„Tiefe Schluchten“ erinnerte mich beim Lesen ein bisschen an einen See. Augenscheinlich ruhig, die Handlung scheint sich lange überhaupt nicht zu tun, aber unter der Oberfläche bewegt sich ständig etwas. Aber ab und zu, so kam es mir vor, wirft jemand in Form von Ermittlungserfolgen einen Stein ins Wasser und es gibt schlagartig Wellen und die Handlung kommt voran. Manchmal scheint die Suche nach dem „verschwundenen Kind“ etwas aus dem Fokus zu geraten, vor allem, da Konráð auch noch im Cold Case um seinen ermordeten Vater ermittelt. Vermutlich habe auch nicht nur ich mich immer wieder gefragt, wie man denn nun eigentlich die isländischen Namen ausspricht. Und nicht nur die (in isländischen Buchstaben gesetzten) Namen waren gewöhnungsbedürftig, zumal alle immer geduzt werden und nur einen Vornamen haben (obwohl ich weiß, wie es in Island mit Vor- und Nachnamen funktioniert, hat es hat mich ab und zu irritiert).

Die Geschichte verläuft nicht linear, sondern eher im Zickzack auf der Zeitachse. Der Autor springt von der Gegenwart in die Vergangenheit (seine eigene, die des Opfers, die seiner Freundin Eygló oder die seines ermordeten Vaters) – wie gesagt: das Buch verlangt Konzentration und Mitdenken, das ist nichts für nebenbei. Und auch die oft verschachtelten Sätze sorgten dafür, dass ich einige Kapitel mehrfach lesen musste. Die Geschichte ist gut konzipiert. Die Gräben, die der Titel suggeriert sind in den Alltagsdramen häufig zu finden. Die Verkettung der Schicksale gelingt dem Autor meisterhaft, ich habe mich oft gefragt, wie er die verschachtelte Handlung zu einem stimmigen Ende bringen will. Die Übersetzung ist bis auf wenige sprachliche Fehler äußerst gelungen.

Ich vergebe für dieses überaus düstere Buch vier Sterne. Empfehlenswert ist es auf jeden Fall für alle, die ruhige, düstere und atmosphärisch packende Krimis mit intelligenten, engagierten und unnachgiebigen Ermittlern mögen.

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