Mittwoch, 7. Dezember 2022

Glaube, Hoffnung und Gemetzel - Nick Cave, Seán O'Hagan

 Musikalisch ist Nick Cave abgesehen von seinem Duett mit Kylie Minogue nicht wirklich mein Fall. Aber „Glaube, Hoffnung und Gemetzel“, das Buch, das der Musikjournalist Seán O’Hagan basierend auf gut 40 Stunden Interviewmaterial mit dem Musiker geschrieben hat, hat mir Nick Cave tatsächlich nähergebracht, als ich es je für möglich gehalten hätte. Die covidbedingt per Telefon geführten Gespräche zwischen den beiden geben einen tiefen Einblick in die Person Nick Cave – oder zumindest in das, was er anderen Menschen zeigen möchte. Wie er wirklich ist? Wer weiß das schon. Manchmal hatte ich beim Lesen das Gefühl, dass er es oft selbst nicht weiß und dass der bekennende Interview-Hasser („Na ja, wer gibt schon gerne Interviews? Interviews sind grundsätzlich beschissen.“) während des Gesprächs selbst neue Facetten an sich erkannte. Auf jeden Fall war es für mich ein interessantes Buch mit neuen Denk-Ansätzen zu Religion und Leben und vielen philosophischen und tiefgründigen Exkursen.

Aber von vorn.

Das Buch ist von allem ein bisschen. Es ist eine Mischung aus erzählter nachdenklicher Autobiografie, Momentaufnahme über Familie und Karriere, Überlegungen zu Weggefährten und immer wieder die Rückkehr (vom Interviewer meiner Meinung nach fast zu oft ein bisschen manipulativ erzwungen) auf den Tod seines 15jährigen Sohnes Arthur, der zu dem Zeitpunkt sieben Jahre zurücklag. Cave erzählt teils launig, teils tiefgründig-philosophisch über seine Kindheit, seine Eltern, seine Zeit an der Kunstschule, als Heroinsüchtiger, über Entzug, Partnerschaften, seinen Glauben, seine Zweifel und Ängste und natürlich immer wieder über Musik. So erfährt man, wie manche Texte entstanden sind und welche Bedeutung sie für ihn haben. Und es geht immer wieder um Verluste. So hat Nick Cave nicht nur seinen Sohn und mehrere Freunde innerhalb weniger Jahre verloren. So starb seine ehemalige Partnerin Anita Lane 2021 und Caves Mutter starb im ersten Pandemie-Jahr (die Interview-Sessions begannen im Sommer 2020 und endeten im August 2021). Wegen der Corona-Regeln in Australien konnte er sie nur per IPhone noch einmal sehen und auch nicht zu ihrer Beerdigung reisen. Inzwischen musste Nick Cave noch einen zweiten Sohn zu Grabe tragen, was Seán O’Hagan im Nachwort schreibt: sein Sohn Jethro starb zwischen dem letzten Interview und der Drucklegung des Buchs.

Und dennoch besteht Caves Leben nicht nur aus Glauben und Gemetzel, sondern durchaus auch aus Hoffnung. Darauf, dass bessere Zeiten kommen werden. Dass Arbeit als Antidepressivum hilft. Ein Buch mit viel Nachdenken über Reue, Vergebung und immer wieder Trauer. Obwohl man als Leser abseits des Interviews sitzt, hatte ich doch ein bisschen das Gefühl, dabei zu sein. Der auf der Bühne auf mich oft ungelenk wirkende Cave erwies sich als feinsinniger und feingeistiger, äußerst belesener (vor allem auch bibelfester), nachdenklicher Mensch und als intelligenter und interessanter Gesprächspartner, der mit den Antworten auf die Fragen ein erschütterndes und unter die Haut gehendes Buch ermöglicht hat. Er ist dazu vielseitig begabt (neben der Musik hat er sich auch als Autor und Schauspieler einen Namen gemacht) und noch vielseitiger interessiert (er ist kunst-affin und hatte eine Zeitlang die Kunstschule besucht). Für mich war das eine völlig neue Seite, und das Buch hat mich auf jeden Fall dazu gebracht, mich näher mit der Person Nick Cave und seiner Musik zu befassen. Vor allem, da so viele seiner Songtexte angesprochen werden. Jetzt, wo ich weiß, was sie für den Künstler bedeuten, möchte ich wissen, was sie für mich bedeuten würden.

Für mich also ein Buch, das zwischen manchen banalen und trivialen Passagen mit wichtigen, lehrreichen und starken Botschaften aufwartet. Von mir daher fünf Sterne. 


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