„Wer bitte attackiert einen Hundertjährigen?“ Das ist eine
berechtigte Frage und das Kernthema von Arttu Tuominens neuem Kriminalroman
„Was wir nie verzeihen“ (auf Finnisch: „Vaiettu“, was so viel wie „zum
Schweigen gebracht“ heißt). Der lebensgefährliche Angriff auf einen 97-Jährigen
im Park vor dem Pflegeheim und der Mord an einem etwa Gleichaltrigen
beschäftigen die Polizei in der finnischen Kleinstadt Pori. Hängen die beiden
Fälle zusammen? Kannten sich die Opfer? Wer könnte ein Interesse daran haben,
die beiden pflegebedürftigen Männer zu töten? Das lange erwartete dritte Buch
der „Delta-Reihe“ (ich war so ungeduldig, dass ich vorher die dänische Ausgabe
gelesen habe, da diese früher erschien) war für mich ein bisschen wie die Achterbahnfahrt.
Rasant spannende Stellen wechseln sich in wilder Reihenfolge mit eher
dahinplätschernden Episoden ab. War es trotzdem gut? Natürlich. Aber die Vorgänger
waren besser.
Aber von vorn.
Albert Kangasniemi ist 97 Jahre alt, lebt in einem
Pflegeheim und hat seine fest eingefahrene Routine. Einer seiner Gewohnheiten
ist es, spätabends am Rollator noch eine Runde mit seiner persönlichen
Pflegerin Inkeri durch den Park zu drehen. Eines Abends wird er von zwei
maskierten Gestalten überwältigt und lebensgefährlich verletzt. Der alte Mann
ist Veteran, „er hat in allen Kriegen gekämpft, im Winterkrieg, im
Fortsetzungskrieg und im Lapplandkrieg.“ Während er noch im Krankenhaus um sein
Leben kämpft, kann Ermittler Jari Paloviita kann gerade noch eingreifen, als
ein als Arzt verkleideter Mörder versucht, Kangasniemi im Krankenbett zu töten.
Kurze Zeit später wird Klaus Halminen, ein weiterer Kriegsveteran in seiner
Villa vor den Augen seiner Frau getötet. Bei ihm finden die Ermittler neben
einer Waffe eine SS-Uniform. Kannten die beiden Männer sich und hängen der
Mordversuch und der Mord zusammen?
Als großer Fan der „Delta-Reihe“ habe ich so ungeduldig auf
den neuen Teil gewartet, dass ich mir die dänische Ausgabe gekauft habe, weil
sie vier Wochen früher erschien. Die Ermittler Jari, Henrik und Linda sind mir
sehr ans Herz gewachsen, ebenso wie der angenehme Schreibstil Arttu Tuominens. In
diesem Band erzählt er die Geschichte in zwei Zeitebenen, die 1941 und 2019 spielen.
So weiß die Leserschaft immer wesentlich mehr als die Ermittler, was bei mir den
Spannungsaufbau störte. Alles in allem wurde das Buch für mich mehr zum
Geschichtsbuch über die finnische Rolle im Zweiten Weltkrieg, denn zum Krimi.
Tatsächlich wusste ich nicht, dass finnische Soldaten 1941 auf dem
Truppenübungsplatz Heuberg auf der Schwäbischen Alb als Freiwillige für die SS
ausgebildet wurden, und wie begeistert sie davon waren. Der Schwerpunkt beim
Privatleben der Ermittler ist dieses Mal nicht bei einer Person, sondern „gerechter“
verteilt. Linda muss mit dem Auftauchen ihrer Mutter umgehen, Jari muss weiter
damit leben, dass sein Schwiegervater nichts von ihm hält, außerdem kämpft er
mit finanziellen Problemen und gegen das Scheitern seiner Ehe. Henrik (mein
persönlicher Liebling) zeigt sich wie gewohnt sportlich-intellektuell.
Sprachlich finde ich das Buch sehr gut und angenehm zu lesen,
die Übersetzung ist hervorragend. Spannungstechnisch ist das Buch für mich eher
schwierig. Ich wusste schon nach etwa einem Viertel des Buchs, wer hinter den
Taten steckt, daher war für mich nicht die Frage „wer?“, sondern „warum“. Der
Titel lässt ahnen, dass das Motiv in der Vergangenheit zu finden ist.
Handwerklich ist das Buch sehr gut, die beiden Zeitebenen sind ausgezeichnet
ausgearbeitet, sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit weisen eine
finstere und bedrückende Atmosphäre auf, geprägt von Gewalt und schierem Hass
auf Fremde. In der aktuellen politischen Situation mit einem fast weltweiten
Rechtsruck wird das Buch zu noch schwererer Kost.
Eine Lese-Empfehlung von mir für Fans der Serie und alle,
die mehr über die Rolle Finnlands im Zweiten Weltkrieg erfahren wollen. Von mir
für diesen Krimi 4,5 Sterne, aufgerundet auf fünf.
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