Freitag, 1. Dezember 2023

Happy New Year. Zwei Familien. Ein Alptraum - Malin Stehn

Familien, die eigentlich nichts mehr verbindet als alte Gewohnheiten, feiern gemeinsam Silvester. Ein Silvester, das für zwei Familien nicht nur ein neues Jahr einläutet, sondern eine komplett neue Zeit. Das ist grob das Thema von Malin Stehns Roman „Happy New Year. Zwei Familien. Ein Albtraum“. Das Buch ist als Roman klassifiziert, es ist aber wesentlich mehr. Es ist für mich ein gelungenes Psychodrama, fast ein Psychothriller, der Panik, Schuldgefühle und post-pubertäre Teenager gekonnt vereint, mit der Frage, die über allem schwebt: Wie gut kenne ich meine Lieben eigentlich? Für mich ein spannendes und lesenswertes Buch, auch wenn es ein bisschen lang geraten ist.

Nina und Fredrik feiern aus alter Gewohnheit zusammen mit gemeinsamen Freunden im Haus von Lollo und Max Silvester. Ihre Töchter Smilla und Jennifer sind 17 Jahre alt und feiern eine eigenen Party im Haus von Nina und Fredrik. Bei den Erwachsenen zeigt sich schnell, dass sie außer der Tradition zur gemeinsamen Feier nichts mehr verbindet und selbst die verkommt zum Pflichttermin, auf den kaum jemand Lust hat. Es ist mehr eine Zuschaustellung des Erreichten (im Sinne von „mein Haus, mein Boot), mit zunehmendem Alkoholgenuss kommen auch rassistische Einstellungen ans Tageslicht. Aber auch die beiden Teenager haben Differenzen und als die Erwachsenen am nächsten Morgen verkatert aufwachen ist klar: Jennifer ist in der Nacht weder nach Hause gekommen, noch schläft sie, wie abgesprochen, bei Smilla. Nach und nach müssen alle Beteiligten feststellen, dass sie weder ihre Freunde noch ihre Familienmitglieder besonders gut kennen und als schlussendlich klar ist, was in der Silvesternacht passiert ist, ist nichts mehr wie vorher.

Stilistisch und sprachlich hat mich das Buch überzeugt, die Übersetzung aus dem Schwedischen ist hervorragend gelungen. Erzählt wird die Geschichte in zum Teil sehr kurzen Kapiteln aus drei Perspektiven, die jeweils in der „ich-Perspektive“ geschrieben sind. Jedes Kapitel ist mit Datum und dem Namen des Ich-Erzählers überschrieben, trotzdem kam ich manchmal durcheinander, was aber nicht tragisch war. Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, jeder hat seine eigenen psychologischen Besonderheiten. Lollo ist Innenausstatterin mit eigenem Blog, Max ist Immobilienmakler und ein arroganter, rassistischer Schnösel. Bei beiden ist Geld der Maßstab für Erfolg. Nina und Fredrik sind beide Lehrer und können finanziell keine großen Sprünge machen. Und da sind dann auch noch Malena und ihr Sohn Theo. Sie bringt jedes Jahr einen anderen Mann mit zur Party und scheint ein wenig unstet. Allerdings ist sie die einzige der Frauen in der Runde, die zu sich selbst zu stehen scheint. Lollo und Nina scheinen sich von ihrer Herkunft distanzieren und neu erfinden zu wollen, sie bestehen darauf, nicht bei ihren eigentlichen Namen Louise und Carolina genannt zu werden. 

Zu den sehr gut geschilderten Charakteren kommt eine durchweg bedrückende Atmosphäre. Selbst die Silvesterparty, die eigentlich locker und fröhlich sein sollte, zeigt die Oberflächlichkeit der Beteiligten und verkommt zum metaphorischen Maskenball. Dass die Masken dann im Verlauf der Geschichte fallen, hat mich nicht überrascht. Die Art und Weise wie sie fallen, umso mehr. Das Verschwinden Jennifers ist dabei nur der Auslöser, der alles ins Rollen bringt, das Verhältnis zwischen den Protagonisten war ohnehin schon länger nur eine Farce. Die einen wollen den schönen Schein wahren, die anderen sind neidisch und wollen mithalten können. Alle haben mit sich, ihren Beziehungen und dem Leben zu kämpfen und über allem schwelen Selbstzweifel und Schuldgefühle, beziehungsweise Schuldzuweisungen. 

Wow. Da hat Malin Stehn uns einen pikanten schwedischen psycho-Eintopf serviert. Ein bisschen lang und zwischendrin ein bisschen fade, aber es kommt immer wieder etwas Neues an die Oberfläche und vor allem im Abgang ist die Krimi-Suppe völlig überraschend. Von mir die volle Punktzahl.


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