Mittwoch, 13. Dezember 2023

Ich will fortleben, auch nach meinem Tod - Thomas Sparr

Die Biografie eines Buchs – so kann man sich „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“ von Thomas Sparr im Großen und Ganzen vorstellen. Er begibt sich auf die Spuren des Tagebuchs der Anne Frank, ordnet die Entstehung ein und verfolgt minutiös die Verbreitung des Buchs weltweit und auch die Umsetzung in anderen Medien wie Film, Musical oder Theaterstück. Für mich war es kein leserfreundliches Buch, was es umso besser macht, da ich gezwungen war, es langsam und sehr gründlich zu lesen.

Aber von vorn.

Anne Frank hatte einen großen Traum: sie wollte Schriftstellerin werden. Seite um Seite füllte sie daher erst das karierte Poesiealbum, das sie zu ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 bekommen hat. Als dieses vollgeschrieben ist, führt sie ihr Tagebuch ab dem 5. Dezember 1942 in zwei Heften, später auf über 300 losen Blättern fort. Sie redigierte ihre Aufzeichnungen selbst, daher gibt es nicht DAS Tagebuch, sondern von vornherein mehrere Fassungen. „Von Beginn an ändert Anne es, in der Namensnennung, der Tilgung von Episoden, im Ergänzen und Umschreiben.“ Eine dritte Version entstand durch die Veränderungen, die ihr Vater Otto Frank und das Lektorat für die erste Verlagsfassung 1947 vorgenommen wurden. Ihrem Vater war es wichtig, „das Andenken der Untergetauchten zu schonen“, heißt: er „kürzte und ließ aus, wenn es um das Verhältnis des Mädchens zur Mutter, die Liebesgeschichte mit Peter oder die erwachende Sexualität der Heranwachsenden ging“. Das zog allerdings nach sich, dass ihm später der Vorwurf gemacht wurde, er sei selbst der Autor der Tagebücher oder habe sie zu sehr verfälscht oder schlicht gefälscht. Otto Frank musste sich juristisch dagegen wehren, graphologische Gutachten bestätigen die Authentizität. In den Niederlanden ist es inzwischen strafbar, die Echtheit des Tagebuchs der Anne Frank zu leugnen. Heute zählt das Tagebuch zu den meistgelesenen Büchern der Welt. Es wurde übersetzt, verfilmt, als Theaterstück und für den Broadway adaptiert und zahllose andere Autoren nahmen darauf Bezug. 

Thomas Sparr hat in mühevoller Recherchearbeit zusammengetragen, wo sich Spuren des Tagebuchs von Anne Frank finden. „Ich will fortleben, auch nach meinem Tod“ ist daher ein äußerst komplexes Werk, das die Leserschaft manchmal durch die geballte Information etwas überfordern könnte, den sachlichen Schreibstil fand ich manchmal auch ein wenig spröde. Seit meiner Jugend habe ich das „Tagebuch der Anne Frank“ mehrfach gelesen, mein Großvater hat es mir ans Herz gelegt. Mit Thomas Sparrs Buch habe ich sehr viel Neues über das Buch erfahren, über das ich vorher noch nie nachgedacht hatte. Auch die vielen verschiedenen Adaptionen waren mir gar nicht bewusst gewesen. Die Schwierigkeiten, die den Weg zur Veröffentlichung pflasterten, waren für mich ebenfalls völlig neu. Die beiden Erzählebenen verbinden die persönliche Familiengeschichte der Familie Frank, die Weltgeschichte und die Geschichte des Buchs seit seiner Entstehung und der niederländischen Erstveröffentlichung 1947 (auf Deutsch erschien das Buch 1950). Die aktuelle Weltpolitik zeigt, dass Anne Franks Tagebuch heute wichtiger ist, denn je. Thomas Sparrs Herangehensweise an das ikonische Werk war für mich überraschend, sein Recherchefleiß beeindruckend und die Präsentation seiner Ergebnisse überwältigend, von mir daher fünf Sterne. 


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