In die Werke von Tove Ditlevsen habe ich mich mit der „Kopenhagen Trilogie“ verliebt. „Böses Glück“, die Sammlung von 15 Kurzgeschichten, ist das neueste Buch der dänischen Autorin, das auf Deutsch erschienen ist. Und obwohl ich kein Fan von Kurzgeschichten bin, hat das Buch mich völlig in seinen Bann gezogen. So viel Tragik, Dramatik und düstere Grundstimmung muss man als Schriftstellerin erst einmal in nüchterne und schnörkellose Sätze packen können. Es ist ein Buch, das tief unter die Haut geht, so tief, dass die Lektüre manchmal beinahe körperliche Schmerzen verursacht. Ein ungutes Gefühl im Magen allemal.
Aber von vorn.
Tove Ditlevsens Geschichten beschreiben den Alltag von
Frauen in den Arbeitervierteln Kopenhagens der Nachkriegsjahre. Das tun sie
eigentlich immer, denn damit kannte die Schriftstellerin sich am besten aus.
Schwierigen Alltag, schwierige Beziehungen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit
sind ihre überwiegenden Themen. Daher schreibt sie über lieblose Ehen, Väter
ohne Bezug zu ihren Kindern („Väter vergessen ihre Kinder doch immer, wenn sie
sie lange genug nicht gesehen haben.“) und Frauen, deren Leben sie direkt aus
der Unterdrückung in den Elternhäusern in die Unterdrückung in der Ehe führt.
Da ist nichts mit Schönfärberei, Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre oder gar
glücklichen Beziehungen – Tove Ditlevsen beschreibt alles bedrückend freudlos
und düster, fast klaustrophobisch anmutend.
Die Charaktere in Ditlevsens Geschichten sind oft namenlos.
„Sie“ und „er“ leben im Alltag oft nebeneinander, aber nicht miteinander, ihre
Anonymität zeigt, dass es diese Konstellationen unzählige Male gab und die
Personen beliebig austauschbar sind. Oft waren es zu der Zeit Vernunft-Ehen, in
denen die Partner keine Partner im eigentlichen Sinne waren, da es oft wenig
Gemeinsamkeiten gab, die Rolle der Frau durch Traditionen definiert war und ein
Ausbruch daraus fast als „Größenwahn“ angesehen wurde. Wünsche und Träume
finden nur im Geheimen statt, Selbstverwirklichung oder gar Emanzipation gibt
es praktisch nicht. Dabei sind die Wünsche der Frauen gar nicht unbescheiden,
zumindest nicht aus heutiger Sicht. Helga wünscht sich beispielsweise einen
gelben Regenschirm. Eine namenlose „Sie“ hat ihr Herz einer streunenden Katze
geschenkt und ihr Mann ist auf das Tier eifersüchtig.
Es sind Geschichten, die lange nachhallen und nachdenklich
machen. Es sind präzise Sozialstudien, die die Leserschaft selbst
interpretieren muss und man muss auch damit umgehen können, dass es für die
Protagonistinnen (in der Hauptsache sind die Hauptfiguren in den Geschichten
tatsächlich Frauen verschiedenen Alters) praktisch kein Happy End gibt. Wer die
Autorin kennt, findet die vielen autobiografischen Aspekte in ihren
Geschichten. Sie selbst starb im Alter von 58 Jahren nach langer Drogensucht
und unglücklichen Ehen durch Suizid. Die Übersetzung von Ursel Allenstein, die
unter anderem auch die „Kopenhagen Trilogie“ übersetzt hat, ist hervorragend
gelungen. Ich kenne das Werk auch im Original und bin beeindruckt, in welcher
Art und Weise die Übersetzerin die sprachlichen Feinheiten ins Deutsche
übertragen hat. Die Sprache mag auf den ersten Blick klar, farblos und nüchtern
sein, aber die wirkliche Finesse liegt in den Zwischentönen.
Auch die Wahl des Titels finde ich geglückt, auf Dänisch
heißt der Band schlicht „Gesammelte Kurzgeschichten“ (Samlede Noveller) „Böses
Glück“ heißt ja eine der Geschichten und fasst die Stimmung des gesamten Buchs
exakt zusammen. Für mich war das Buch trotz der Melancholie, der düsteren
Stimmung, der grausamen Schonungslosigkeit und schonungslosen Grausamkeit ein
wahres Vergnügen. Von mir fünf Sterne.
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