Mittwoch, 3. September 2025

Verlassen - Eva Björg Ægisdóttir

 Da ich die anderen drei Island-Krimis von Eva Björg Ægisdóttir gelesen hatte, habe ich mich auf „Verlassen“ sehr gefreut. Tatsächlich hat mich das Buch nach wenigen Seiten so in seinen Bann gezogen, dass ich es in einem Rutsch durchgelesen habe. Für  mich war es ein überaus spannender und clever aufgebauter Krimi. Wer allerdings eine Fortsetzung der Reihe mit Kriminalkommissarin Elma erwartet, wird enttäuscht sein – „Verlassen“ ist streng genommen ein „Prequel“ zur Serie, keine Fortsetzung. 

Aber von vorn.

Die Familie Snæberg ist reich und mächtig und sie ist in ganz Island bekannt. Ihr Firmenimperium macht jedes Jahr einen Milliardenumsatz und einige der Familienmitglieder sind in den sozialen Medien sehr aktiv. Anlässlich des 100. Geburtstags des allerdings schon verstorbenen Patriarchen und Firmengründers Ingólfur Snæberg, trifft sich die Familie in einem exklusiven „Smart-Hotel“ auf der Halbinsel Snæfellsnes, mitten in den westisländischen Lavafeldern. Es wird ein typisches Familientreffen mit Streitereien, Drogen, Eifersüchteleien und viel zu viel Alkohol. Außerdem bestimmen dunkle Geheimnisse schnell die Stimmung zwischen den Familienmitgliedern und schon kurz nach der Ankunft zeigt sich, dass die Familie nicht wirklich harmonisch ist und überhaupt nichts so ist, wie es scheint. Als eine junge Frau verschwindet, bricht Chaos aus. Dann wird auch noch eine 14-Jährige vermisst. Gibt es einen Zusammenhang? Plötzlich herrscht zwischen allen Anwesenden ein spürbares Misstrauen und die Ermittler Sævar und Hörður von der Polizei in Akranes haben alle Hände voll zu tun, Licht ins Dunkel der Ermittlungen zu bringen. 

Ich hatte bei diesem Buch den Fehler gemacht, die zahlreichen Rezensionen vorher zu lesen. Daher bin ich mit einem für mich völlig untypischen Misstrauen an die Lektüre herangegangen. Allerdings hat „Verlassen“ mich nach wenigen Seiten wirklich gefesselt. Es gibt mehrere Handlungsstränge, die Autorin erzählt sowohl aus unterschiedlichen Perspektiven als auch in verschiedenen Zeit-Ebenen. Die Erzählstränge von Petra und Lea Snæberg (die beiden sind Mutter und Tochter), Tryggvi (er ist der Lebensgefährte einer der Familienmitglieder und als einziger kein Teil des Imperiums, da er als Schreiner arbeitet) und der Hotelangestellten Irma sind jeweils in der Ich-Perspektive erzählt, während der Strang rund um Sævar, den Kriminalpolizisten aus Akranes einen externen Erzähler hat. 

Das Buch umfasst einen kurzen Zeitraum von drei Tagen, es spielt sich zwischen dem 3. und dem 5. November 2017 ab. Es ist unblutig erzählt und kommt gänzlich ohne derbe Sprache aus, daher fand ich es sehr angenehm zu lesen. Die Kapitel sind überwiegend kurz und so gut wie jedes endet mit einem Cliffhanger. Die Leserschaft weiß zwar nach einer Weile, dass Sævar und Hörður in einem Tötungsdelikt ermitteln, man hat aber keine Ahnung, wer überhaupt das Opfer ist. Wie von der Autorin gewohnt, gibt es auch in „Verlassen“ eine große Anzahl an Charakteren, die sie ausführlich beschreibt. Der Stammbaum am Anfang des Buchs war dabei eine große Hilfe. 

Der Spannungsbogen ist schwer zu beschreiben. Ich hatte von der ersten Seite an ein ungutes Gefühl im Magen, so wirklich spannend fand ich das Buch allerdings nicht, die Spannung kam mehr unterschwellig zum Tragen. Die vielen Geheimnisse aller Beteiligter, die so viele Fragen aufwerfen – mir hat das wirklich gefallen und die psychologische Komponente konnte mich begeistern. Die verkorkste Familie, die nur aus Egoisten und Egozentrikern zu bestehen scheint, ich fühlte mich wie am 80. Geburtstag meiner Oma. Am Beispiel der 14jährigen Lea zeigt die Autorin die Gefahren auf, die die Nutzung speziell von social Media-Plattformen mit sich bringen kann. Auch wenn Lea sich auf der sicheren Seite wähnt, ist das Erkennen von fake Profilen nicht leicht und hinter manchen vermeintlich trostspendenden Accounts steckt jemand ganz anderes.

Etwas ganz Anderes verbarg sich für mich auch hinter dem Buch, etwas, das ich ganz und gar nicht erwartet hatte. Der Titel „Verlassen“ reiht sich so schön in die Reihe aus „Verschwiegen“, „Verloren“ und „Verborgen“ ein und doch ist das Buch ganz anders. Dennoch war es für mich ein Volltreffer, ich freue mich jetzt schon auf „Verschworen“ und ich vergebe fünf Sterne.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.