„Nesje war mein Urgroßvater.“ Auf diesem schlichten Fakt baut Edvard Hoem sein Buch „Der Heumacher“ auf, denn allzu viel ist über Knut Hansen Nesje nicht bekannt. Aus den wenigen Daten aus Kirchenbüchern und Zeitungen und den Geschichten, die in der Familie erzählt wurden, hat der Autor den ersten Teil seiner Familiensaga gestrickt. Zusammen mit sehr viel Fantasie („Ich musste ihn herbeidichten, aus Luft und aus dem Nichts, aus dem Licht über Molde und Rekneslia, aus dem Wind, der meine Haare zaust, und aus dem Regen, der auf Felder und Menschen fiel – zu seiner wie zu meiner Zeit.“) entstand ein eindrucksvoller Roman, der die Leserschaft ins schwierige Leben auf dem Land im Norwegen des ausgehenden 19. Jahrhunderts mitnimmt.
Aber von vorn.
Knut Hansen, genannt Nesje, ist der jüngste Sohn von Marta
Kristine Andersdatter Nesje, der Hebamme, die Hoem-Kennern schon aus dem
gleichnamigen Roman bekannt sein dürfte. Der Witwer lebt mit seinem Sohn Hans
auf einem Pachtgrundstück oberhalb der Kleinstadt Molde an der norwegischen
Küste und arbeitet im Gegenzug als Heumacher auf dem Hof des Großbauern. Sein
Traum ist es, eines Tages das von ihm bestellte Stück Land zu besitzen, er
hofft, dass sein Fleiß und seine Zuverlässigkeit sich irgendwann auszahlen.
Abgesehen davon ist er bescheiden und bodenständig. An seinem 36. Geburtstag
lernt er 1874, zwei Jahre nach dem Tod seiner Frau Guri, Serianna kennen. Die
unabhängige junge Frau imponiert ihm und er verliebt sich. Als sie im Jahr
darauf heiraten, ist die Braut bereits im siebten Monat schwanger. Hans
verlässt den Pachthof noch vor seiner Konfirmation, er „hatte einmal eine
Mutter und kann keine neue bekommen“. Das Leben geht weiter und das Buch teilt
sich in zwei Erzählebenen. Das Leben von Nesje und Sarianna in Molde wird in
der einen beschrieben, das Leben von Seriannas jüngerer Schwester Gjertine in
der anderen.
Da „Mutter Norwegen es nicht mehr schafft, alle ihre Kinder
zu ernähren“, wandert Gjertine mit ihrer Familie nach Amerika aus, denn „Wer
auf der Suche nach einer besseren Zukunft ist, muss so schnell wie möglich fort
von hier!“ Natürlich ist das Leben im „gelobten Land“ nicht so einfach wie
erhofft, im Endeffekt tauschen sie ein arbeits- und entbehrungsreiches Leben in
Norwegen gegen ein ebensolches in Amerika. Nesje und seine Frau versuchen, in
der Heimat das Beste aus der Situation zu machen. „Wir bleiben hier. So haben wir es beschlossen“.
Allerdings macht der technische Fortschritt Berufe wie Heumacher nach und nach
überflüssig und Nesjes wirtschaftliche Lage wird schlechter.
„Der Heumacher“ ist ein Buch ohne Anfang und Ende. Es
umfasst ein paar Jahre im Leben von Menschen, beschreibt, was sie in der Zeit
erlebt haben und was sie umgetrieben hat. Gjertine und Ole stehen exemplarisch
für unzählige Menschen, die Ende des 19. Jahrhunderts auf der Suche nach Glück
und Wohlstand nach Amerika aufgebrochen sind. Nesje und Serianna sind ein
Beispiel für die, die diesen Schritt aus welchen Gründen auch immer nicht
gemacht haben. Die einen fügen sich in ihr Schicksal und leben mit ihren
Träumen, die anderen nehmen das Schicksal in die Hand und leben ihren Traum.
Sehr ans Herz ging mir das Schicksal von Anton Edvard, des jüngsten Kindes von
Nesje und Serianna, der schon mit sieben Jahren zu einem Onkel, dem
Möbeltischler Erik, in Kost gegeben wurde.
Interessant fand ich, wie Edvard Hoem die Rolle der Frauen
beschreibt. Sarianna und Gjertine sind willensstarke Frauen und, während die
Männer die Versorger der Familie sind, scheinen die Frauen die treibenden
Kräfte hinter allem. Sprachlich fand ich das Buch sehr gut zu lesen, der Stil
ist anfangs gewöhnungsbedürftig, aber klar und sachlich, bodenständig und
schlicht, wenn man sich darauf einlassen kann, erkennt man die Poesie und Schönheit.
Die Übersetzung aus dem Nynorsk ist hervorragend gelungen. Die Geschichte ist
lebendig und packend, für mich war das Buch, wie auch schon „Die Hebamme“ ein
echtes Highlight. Von mir fünf Sterne.
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