Mit „Die Vermisste von Holnis“ geht Anna Johannsens „Inselkommissarin“ Lena Lorenzen schon in die elfte Runde. Für mich war es erst das zweite Buch aus der Reihe, allerdings bin ich ein „altdgedienter“ Fan der Enna-Andersen-Serie der Autorin. Und auch dieser Krimi hat mich nicht enttäuscht, er war zwar nur leidlich spannend, aber durchaus unterhaltsam und eine angenehme Lektüre mit viel norddeutschem und dänischen Lokalkolorit. Auch Einblicke in das Privatleben der Ermittler kommen nicht zu kurz. Für mich ein lesenswertes Buch.
Aber von vorn.
Als in der Nähe der dänischen Stadt Odense die Leiche einer jungen Frau gefunden wird, finden die dänischen Polizisten zu ihrer Überraschung bei ihr einen sehr gut gefälschten Ausweis. Als sich herausstellt, dass es sich in Wirklichkeit bei der Toten um die vor vier Jahren in Deutschland verschwundene Sophia Jepsen handelt, beginnt eine deutsch-dänische Zusammenarbeit zwischen Der Inselkommissarin Lena Lorenzen und ihrer Kollegin Naya Olsen. Aus dem alten Cold Case wird ein neuer Fall, aus dem spurlosen Verschwinden ein Tötungsdelikt. Die beiden Polizistinnen ermitteln akribisch im Umfeld von Sophia, befragen ihre Familie und alte Freundinnen und stoßen immer auf dasselbe: Sophia hatte sich vor ihrem Verschwinden sowohl optisch als auch charakterlich sehr verändert. Sie habe die Haare wachsen lassen und sich nicht mehr geschminkt, insgesamt sei sie erwachsener gewesen und, wie die ehemaligen Freundinnen erzählen, verliebt in einen Mann, aus dem sie ein großes Geheimnis gemacht hat. Waren es „übliche Teenagerwirren“ und ist sie damals mit einem Mann weggelaufen? Als die Gerichtsmedizin dann feststellt, dass Sophia längere Zeit vor ihrem Tod ein Kind geboren hat, läuft den Ermittlerinnen die Zeit davon. Lebt das Kind noch? Und wenn ja, wo ist es?
„Die Vermisste von Holnis“ war für mich eine angenehme Lektüre für Zwischendurch. Der Krimi besticht zwar nicht durch einen übermäßig hohen Spannungsfaktor, aber die Vielschichtigkeit der Geschichte sorgte dafür, dass ich das Buch nur schwer aus der Hand legen konnte. Die psychologische Komponente fand ich gut herausgearbeitet, wobei der eine oder andere Aspekt für mich ein bisschen zu oberflächlich behandelt wird. Da es aber sehr viele verschiedene Aspekte sind, die die Ermittler auf dem Weg zur Auflösung beleuchten müssen, würde eine tiefere Ausarbeitung vermutlich den Rahmen eines Romans sprengen. Gut beschrieben fand ich die charakterlichen Veränderungen der bei ihrem Verschwinden 16jährigen Sophia. Da konnte man als Leser:in so richtig schön miträtseln, was die Ursache dafür war. Die unterschiedlichen Möglichkeiten sind logisch und stimmig, mehr möchte ich dazu nicht sagen, ich möchte nicht spoilern. Die Charaktere sind für Kenner der Serie sicher einfacher zu verstehen, ich als quasi Neuling musste mich da ein bisschen einfinden, da mit Zusammenhänge zwischen Lena, Naya, Erck, Ole und wie sie alle heißen, fehlten. Aber Anna Johannsen tut ihr Bestes, auch hier keine Lücken entstehen zu lassen.
Keine Lücken gibt es auch bei der Auflösung des Falls, die gut und stimmig ist. Der Weg zur Lösung ist verworren, es gibt einige potenzielle Täter, einige mögliche Motive und dazwischen einiges an Privatleben, vor allem bei Naya Olsen. Die dänische Ermittlerin hat grönländische Wurzeln und kämpft mit ihrer Identität und ihrer Herkunft. Durch sie erfährt man einiges über grönländische Traditionen und die Probleme der indigenen Völker dort. Hier streift Anna Johannsen ein wenig die Gesellschaftskritik. Sie spricht sowohl die Folgen der Kolonialisierung Grönlands durch die Dänen an als auch das Robbenjagdverbot. Der Schreibstil von Anna Johannsen ist wie immer angenehm, die Geschichte an sich weitgehend unblutig und (bis auf den eigentlichen Mord) gewaltarm.
Für mich war das Buch auf jeden Fall eine runde Sache und macht mir Lust auf mehr. Von mir daher wegen der zögerlichen Spannung solide vier Sterne.
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