„Als Großmutter im Regen tanzte“ ist das erste Buch der norwegischen Autorin Trude Teige, das ich gelesen habe. Es wird aber ganz sicher nicht mein letztes Buch von ihr sein. Eine fiktive Familiengeschichte trifft dort auf echte Geschichte und über allem hängen gut gehütete Familiengeheimnisse. Mittendrin flackert ein kleines Flämmchen der Liebe und der Regen, in dem die Großmutter tanzt, spendet Applaus. Mich hat das Buch gefesselt und begeistert.
Aber von vorn.
Junis Mutter ist kürzlich verstorben und die junge Frau hat ihr
Haus auf einer abgelegenen norwegischen Insel geerbt. Als ihre Großeltern noch
dort lebten, hat Juni ihre Kindheit bei ihnen verbracht. Jetzt zieht sie sich für
eine Auszeit dahin zurück. Sie ist schwanger, kann sich aber nicht vorstellen,
das Kind mit ihrem gewalttätigen Mann Jahn zu bekommen. Beim Aufräumen im Haus schwelgt
Juni in Erinnerungen und findet ihr unbekannte Fotos. Eines der Bilder zeigt
ihre Großmutter zusammen mit einem deutschen Soldaten. Nachdem sie die Hochzeitsbescheinigung
der Großeltern gefunden hat, rechnet sie nach und stellt fest, dass ihre Mutter
am Tag der Heirat bereits eineinhalb Jahre alt war. Auch sieht Lilla weder
Tekla noch Konrad ähnlich, dem deutschen Soldaten allerdings auch nicht. Zwischen
Juni und ihrer Mutter gab es ebenfalls Unausgesprochenes: Lilla hat ihrer
Tochter nie erzählt, wer ihr Vater ist. Alfred, Junis einziger fester Nachbar
auf der Insel, hüllt sich in Schweigen. Der frisch geschiedene Georg, der neu
auf der Insel ist, ist hingegen sehr hilfreich. Er reist mit Juni nach
Deutschland, um gemeinsam mit ihr Licht in ihre Familiengeschichte zu bringen.
Ich habe schon einige Bücher zur Beziehung zwischen Norwegen
und Deutschland im Zweiten Weltkrieg und danach gelesen, daher war mir die
Thematik bekannt. Wie drastisch die Ächtung war, der sich die 30.000 bis 50.000
Norwegerinnen ausgesetzt sahen, die eine Beziehung zu einem Deutschen führten,
war mir allerdings nicht bewusst. Die „tyskerjentene“ wurden von ihrem Umfeld,
ihren Familien und auch von der norwegischen Regierung wie Aussätzige behandelt,
konnten willkürlich verhaftet werden, oft verloren sie ihre Arbeit und, wenn
sie die Deutschen geheiratet haben, auch ihre Staatsbürgerschaft.
Trude Teiges Buch hat mich sehr berührt und auch sprachlich
fand ich das Buch abgesehen von ein paar Schreibfehlern sehr ansprechend. Die
Autorin verflicht inspiriert von realen Menschen Fiktion mit Realität. Die
Charaktere fand ich gut beschrieben. Vermutlich wird jede Leserin und jeder
Leser im Buch ein Pendant finden. Die Kriegsgeneration, die Kriegskinder und
die Kriegsenkel werden ebenso dargestellt wie Außenstehende, die mehr oder
weniger zur Geschichte beitragen. Auch ohne ausdrücklich ein „Frauenbuch“ zu
sein, sieht man daran, dass die Zielgruppe wohl in der weiblichen Leserschaft
liegt.
Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt, den
im Hier und Jetzt mit Juni im Mittelpunkt und die Erlebnisse von Tekla in Jahren
zwischen 1944 und 1948. Beide Stränge habe ich gern gelesen. Das viele
Unausgesprochene, das sich quer durch die Generationen zieht, hat mich betroffen
gemacht. Dunkle Familiengeheimnisse werden noch dunkler, wenn niemand mehr am
Leben ist, der nach vielen Jahren hilft, Licht ins Dunkle zu bringen. Wie viele
von uns haben von unseren Großeltern und Eltern immer wieder gehört „darüber
reden wir, wenn du erwachsen bist“ – wie bei vielen kam auch bei Juni der Tag
nie, denn als sie „erwachsen genug“ war, waren die anderen tot.
Vieles im Buch ist sehr klischeehaft, manches kommt über
Küchentischphilosophie nicht hinaus, und dennoch fand ich es sehr gut zu lesen
und kämpfte an manchen Stellen mit feuchten Augen. Die schwierigen
Mutter-Tochter-Beziehungen hat Trude Teige sehr treffend eingefangen. Am
Schluss wäre das Buch dann beinahe doch noch ins Seichte abgerutscht, das
konnte die Autorin aber erfreulicherweise gerade noch so vermeiden. Mich hat
das Buch enorm berührt und ich freue mich schon auf „Und Großvater atmete mit
den Wellen“.
Ich vergebe fünf Sterne.
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